Die Pleite der Ölfänger-Werft Lühring

■ Obwohl sie ein weltweit anerkanntes Öl-Auffangschiff entwickelt hat, ist die Braker Werft am Ende / Seit sechs Wochen arbeiten die Schiffbauer ohne Lohn / Hoffnung auf neuen Ölfänger-Auftrag und Landesbürgschaft

Hinterm Deich liegen Kirche und Friedhof, vorm Deich, mit hohen Spundwänden gegen das Hochwasser geschützt, die Werft. Backsteingemäuer, efeuumrankt, aber auch eine neue, gradlinige Sektionshalle. Kirchhammelwarden heißt das Seefahrerdorf an der Unterweser. Zwar ist es schon seit Jahren in die Kreis- und Hafenstadt Brake eingemeindet, aber die Leute in den Strohdach-Häusern dort sehen sich noch immer als Kirchhammelwardener. Die Kirche wird wohl noch lange in ihrem Dorf bleiben, aber die Werft? Anfang August meldete Claus Lühring beim Amtsgericht Konkurs an. Schon für den Juli hat er an seine 160 Arbeiter keinen Lohn mehr gezahlt. Dennoch geht die Arbeit weiter: Im Trockendock wird das alte, verbeulte Küstenmotorschiff „Island“ überholt. Der Laderaum des Schiffes ist leer. In der „Bilge“, dem doppelten Boden des Schiffes kriechen die Schweißer und bessern die Blechplatten aus. „Akkord und Überstunden machen wir“, sagt einer, „weil der Dampfer morgen mittag raus muß. Alles ohne einen Pfennig Geld.“ Wer kein dickes Sparbuch hatte, mußte in den vergangenen Wochen sein Lohnkonto überziehen. Aber auch das war nicht immer möglich: „Wenn einer von der Lühring-Werft kommt, geht der Bankschalter zu“, sagt Betriebsratsvorsitzender Hans Aussel. Denn: Ob die Werftarbeiter ihre Konten wieder ausgleichen können, steht noch in den Sternen.

Ölfänger mit Scharnier

Daß ausgerechnet er das nächste Opfer der nun bald 15 Jahre dauernden Schiffbaukrise werden soll, erbittert Claus Lühring, der in vierter Generation den 150 Jahre alten Betrieb führt. Denn seine kleine Werft hat sich schon

vor 12 Jahren auf einen Markt mit Zukunft spezialisiert: Auf den Kampf gegen die Ölpest auf See. Im Konstruktionsbüro auf dem Kirchhammelwardener Deich entstanden die Pläne für effektiv arbeitende Öl-Auffangschiffe. Der Prototyp „Thor“ wurde 1981 fertiggestellt. Das Prinzip der Lühring-Ölfänger: Ihr Rumpf wird auf See bis auf 65 Grad auseinandergeklappt. Zwischen den beiden Teilrümpfen wird der Ölteppich zusammengeschoben und dann in die Tanks des Schiffes gesaugt. In Kiel und in Wilhelmshaven bei der Bundesmarine ist jeweils ein Lühring-Ölfänger. Mit einem der Lühring -Schiffe kämpft die staatliche mexikanische Ölgesellschaft „Pemex“ gegen die Ölpest im Bohrgebiet des heimischen Golfs.

Mit der Entwicklung der Ölfänger habe seine Werft rechtzeitig auf die Schiffbaukrise reagiert, findet Claus Lühring. „Mehr kann man von so einer kleinen Werft nicht verlangen.“ Bis zuletzt hat er auf eine Bürgschaft der niedersächsischen Landesregierung gewartet, die ihm den Gang zum Braker Amtsgericht erspart hätte. Ebenfalls in der Luft hängt der Auftrag für ein weiteres Ölauffangschiff, das der Bund und die vier Küstenländer gemeinsam anschaffen sollen. Wenn ein solcher Auftrag kommt, dann kommt auch die Bürgschaft, hofft Lühring. Aber wenn nicht? Am Montag der kommenden Woche tagt in Bremen der „Ölunfall-Ausschuß Seeküste“ in den der Bund und die Küstenländer ihre Experten entsenden. Neben Lühring bemüht sich bisher keine andere Werft um den Auftrag für ein neues Ölauffangschiff, war aus dem niedersächsischen Umweltministerium zu hören. Mit einer Entscheidung rechnet man dort allerdings nicht vor

Ende des Jahres.

Lohn von der Bank

Die im eigenen Haus entwickelten Ölfänger sollten der Dorf -Werft die Grundauslastung sichern, sagt Claus Lühring. Fürwahr: Seit im Mai der Ölfänger „Eversand“ an die Bundesmarine nach Wilhelmshaven geliefert wurde, liegen die Helgen leer. Nur ein geringer Teil der Arbeiter ist seitdem noch auf der Werft mit Reparaturen und mit Zulieferarbeiten für andere Betriebe beschäftigt. Die meisten sind ausgeliehen an andere Werften an der Unterweser. Diese „Nachbarschaftshilfe“, wie die Betriebsräte das nennen, hat sich seit Jahren in der Krisenbranche einge

bürgert. Daß aber ein Großteil der Lühring-Belegschaft seit sechs Wochen schon bei Lürssen in Lemwerder oder bei Abeking und Rassmussen im gleichen Ort arbeitet und weder von diesen Betrieben noch von Lühring selbst Lohn bekommen, das gab es noch nie.

Am Freitag der letzten Woche war im Betriebsratsbüro Hochbetrieb. Die Kollegen kamen mit ihren „Abtretungserklärungen“ herein und ließen sich nochmal verklumfiedeln, was es damit auf sich hat: Mit diesem Stück Papier treten sie ihre Lohnansprüche, die sie an die Lühring -Werft haben, an eine Bank ab, in der Hoffnung, daß die ihnen dann den ausstehenden Lohn vorschießt. Die

Bank soll sich das Geld bei Lühring wiederholen, wenn der wieder zahlungsfähig wird. Wenn die Werft jedoch unter den Hammer kommt, muß sie sich an der Konkursmasse schadlos halten. Auf Anraten ihrer Betriebsräte haben die Arbeiter sämtlich solche Erklärungen unterschrieben. Nur: Der Name der Bank ist auf den Formularen nicht eingetragen, weil sich noch keine gefunden hat, die den Lühring-Arbeitern ihren Lohn vorstrecken will. Die Bremer Landesbank, Hauptgläubigerin Lührings, und auch die gewerkschaftseigene Bank für Gemeinwirtschaft haben abgelehnt.

„Überraschend kam die Pleite nicht“, sagt Betriebsratsvorsit

zender Hans Aussel zu dem Vergleichsantrag seines Chefs. Schon 1984 mußte Lühring drei Viertel seiner Werft an einen „Partner“ verkaufen, an den Kaufmann Klaus Löwer. Löwer, der auch an anderen Stellen Geld in die Seefahrt investiert hat, kümmerte sich besonders um das „Marketing“ der Lühring -Schiffe. Das heißt: Er organisierte die Zahnärzte, die Schiffsbeteiligungen erwarben, um mit den Verlusten ihre Steuerlast zu mindern. Je mehr Zahnarzt-Beteiligungen am Schiff, desto geringer das Risiko für den Reeder, desto größer sein Mut, ein neues Schiff bei Lühring zu bestellen.

Schiffe unterm Hammer

Ein Highlight in dieser Hinsicht gab es 1984. Der Auftrag kam aus Rodenkirchen, einem Dorf, wenige Seemeilen stromabwärts von Kirchhammelwarden. Die dortige Reederfamilie Stutz ist ebensolange im Geschäft wie die Lührings. Wenn Stutzens Schiffe bauten, dann fast immer bei Lührings. 1984 bestellten die Stutz-Brüder zwei Kümos. „Das war eine Stimmung, damals, als die bei Lühring Arbeit kriegten“, erinnert sich Harry Stutz heute. Lokalstolz spricht auch aus den Namen der beiden Neubauten: „Wesermarsch“ und „Butjadingen“. Fast vier Jahre kreuzten die Stutzens durch Nord- und Ostsee. Dann holte die Krise sie ein: Sie konnten die Kreditraten an die Bremer Landesbank nicht mehr bezahlen. Jetzt liegen ihre Schiffe nebeneinander im Hafen von Rotterdam an der Kette. Ende August sollen sie zwangsversteigert werden.

Michael Weisfeld