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Archiv-Artikel

Die Plaudertasche

In einer Halbzeit-SMS muntert Sapina den gekauften Schiedsrichter Hoyzer auf: „Dicker, du bist so weit gekommen, jetzt musst du das auch durchziehen“

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

Richterin Gerti Kramer hat gegen sechzehn Uhr ein Einsehen, sie beendet den zweiten Prozesstag. Ante Sapina lässt den Kopf hängen. Er beugt sich langsam nach vorn. Seine Stirn berührt die Tischplatte. So verharrt der Angeklagte ein paar Sekunden. Ante Sapina ist müde, sehr müde. Stundenlang hat er geredet. Von zehn Uhr vormittags bis in den Nachmittag hinein, nur unterbrochen von vier Pausen. Seine Stimmbänder sind angegriffen, rau von der Fülle der Schilderungen. Im Gefängnis Berlin-Moabit wird er sich nun erholen von seiner Aussage, die er am ersten Tag des Prozesses mit den Worten einleitete: „Ich bin der Ante.“

Die anderen fünf Angeklagten im Saal 500 des Berliner Landgerichts tragen Anzüge, Ante Sapina, 29 Jahre alt, hat eine rote Sportjacke mit schwarzen Ärmeln an, darunter ein gelbes T-Shirt. Es ist ein Aufzug für die Kneipe oder den Fußballplatz. Der Drahtzieher des Wettskandals, der Fußballdeutschland in seinen Grundfesten erschütterte, ist der sympathische Typ von nebenan. Diesen Anschein erweckt der jüngste Spross des Sapina-Clans. Was an diesem Auftritt Masche ist, muss die Richterin am 29. Dezember entscheiden, an dem Tag, an dem das Urteil fallen soll. Das Publikum jedenfalls mag die Plaudertasche im Freizeitlook.

Ein Zuschauer applaudiert nach dem Marathongeständnis sogar, das heute in eine neue Runde geht. Der Claqueur kommt aus dem kroatischen Block. Zwei Dutzend Kroaten wohnen dem Prozess auf den Zuschauerbänken bei, ein paar Damen aus dem Gewerbe im Schlepptau. In den Pausen wird Serbokroatisch gesprochen und die neueste Mode von Boss und Joop vorgeführt. Das Café King hat Ausgang. Jeden Dienstag und jeden Donnerstag, noch 16 Verhandlungstage lang.

Ihnen geht es nicht so sehr um die Wahrheit, Phillip Stiefel, 20, dagegen schon. Der Fan von Hertha BSC verlangt Aufklärung, „schnell und unerbittlich“. Deswegen ist er heute zum ersten Mal in seinem Leben in ein Gericht gegangen. „Ich will, dass der Typ hinter Schloss und Riegel kommt, und zwar nicht nur für ein paar Monate, sondern richtig, denn er hat Deutschland großen Schaden zugefügt.“ Die aufrichtige Empörung richtet sich nicht gegen Sapina. Gemeint ist der ehemalige Schiedsrichter Robert Hoyzer. Stiefel spricht von einem „Fall Hoyzer – der Typ hat moralisch versagt“. Sapina ist ihm egal.

Hoyzers Versagen kam für den Deutschen Fußball-Bund zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Die WM im eigenen Land beginnt im nächsten Sommer. Es sind nur noch gut sieben Monate bis zum Großereignis. Richterin Gerti Kramer muss sich beeilen. Das Fußballfest soll ohne Komplikationen gefeiert werden. Wenigstens zeigen sich die Angeklagten kooperativ. „Alle Anklagepunkte sind im Wesentlichen zutreffend“, sagt Ante Sapina.

Robert Hoyzer sitzt schräg hinter dem weitschweifig referierenden Sapina, fast in Reichweite. Hoyzer hat sich in der ersten Reihe platziert, ist der einzige Angeklagte, der nicht neben seinen Anwälten sitzt. Er hat sich exponiert. Die Rolle liegt ihm. Er will, dass er gesehen wird. Den Ausführungen des „Wett-Paten“ (Bild) folgt Hoyzer ohne erkennbare Regung. Mal blättert er in zwei dicken Leitz-Aktenordnern, mal schreibt er eifrig mit. „Der arrogant wirkende Karrieretyp“, wie die Agentur dpa über den Mann im dunkelgrauen Anzug geschrieben hat, wirkt unnahbar, aber präsent. Noch muss er auf seinen Auftritt warten. Ante Sapina hat vorerst Rederecht. Was sein ehemaliger Mitstreiter zu sagen hat, stellt Hoyzers Selbstbeherrschung auf eine harte Probe.

Der Vordenker des Betrugs spricht mit ruhiger, fast sanfter Stimme. Er will das Wesentliche offen legen. Eine mildere Strafe verspricht er sich davon, womöglich eine Entkräftung der Anklage. Ante Sapina plaudert aber auch, um sich als krankhafter Spieler darzustellen. Von seinen Anwälten wurde ein psychiatrisches Gutachten eingebracht, das ihn als „pathologischen Spieler“ ausweist. Die Strategie der Verteidigung: verminderte Schuldfähigkeit des Mandanten. Spielsucht gilt seit 1990 als anerkannte Suchtkrankheit.

Mit 16 habe er angefangen zu wetten, berichtet der Hauptangeklagte. Er wird bald zu einem Wettbesessenen, versinkt in der Welt der Wahrscheinlichkeiten und Quoten, sitzt nächtelang vorm Computer und befasst sich mit rumänischen und dänischen Ligen oder dem Sportgeschehen in Amerika. „Verstehn Se“, sagt er zur Richterin und blickt fragend zu Gerti Kramer. Er kennt Kleinvereine in Skandinavien und den Keeper von Ankaragücü. Ihm entgeht nicht, wenn Klubs ihre Spieler schonen oder verletzt abmelden. Wenn er wettet, weiß er alles über seine Quotenbringer. In den Lehrjahren eines Zockers macht Ante Sapina noch Fehler, verliert Geld. Doch er „trifft“ immer besser. Ihm entgehen nur noch wenige „Value-“ oder „Bank-Tipps“, wie er vermeintlich sichere „Schüsse“ nennt. Die kombiniert er mit weiteren Spielen, sodass sich lukrative Quoten von 1:19 oder 1:32 ergeben.

Mit detektivischem Gespür entdeckt er „falsche“ Quoten und setzt darauf. „Besonders stark war ich in Randsportarten, ich hatte da einen Informationsvorteil gegenüber neuen Wettanbietern. Ich habe versucht, schneller zu sein als die Buchmacher. Verstehn Se.“ Das clevere Bürschchen zockt die Wettprofis mit sicherem Instinkt ab. „Ich hatte ein besseres Gefühl als alle anderen“, sagt er. Aus einem Glücksspiel wird so ein Geschäft mit steigendem Umsatz – und mit Gewinngarantie. Sein Erweckungserlebnis, schildert Sapina, hatte er bei einer Wette auf den FC Bayern. Antes Langzeittipp: München wird im Jahr 2000 deutscher Meister. Erst durch die sensationelle Niederlage Leverkusens in Unterhaching am allerletzten Spieltag schaffen es die Bayern auf Platz eins. Der unverhoffte Gewinn: 100.000 Mark.

„Dieses Geld aus dem Nichts war für mich ein Zeichen, weiterzumachen.“ Sapina expandiert. Seine Profite steigen. In der Hoch-Zeit seiner Tippwut macht er im Schnitt 200.000 Euro Plus – im Monat. Behauptet er. Im Internet hat er mittlerweile mehr als dreißig Konten bei Wettanbietern. Über die gesetzten Unsummen, nicht selten sechsstellige Beträge, spricht er vor Gericht wie von Selbstverständlichkeiten. Sapina stößt nun jedoch an Grenzen. Den Wettbüros sind seine Beutezüge suspekt. Sie machen ihm fortan das Leben schwer, beschränken Wetten und Einsatz. Sapina kann exorbitant hohe Summen nur noch beim staatlichen Anbieter Oddset setzen – aber dort gibt es häufig nur miserable Quoten. „Ich konnte bei Oddset keinen Informationsvorsprung gewinnen“, sagt er.

Die sprudelnde Erwerbsquelle scheint schon zu versiegen, da kommt Sapina auf die Idee, dem Zufall auf die Sprünge zu helfen. Schon lange ist ihm klar, dass in manchen Ligen manipuliert wird, in der türkischen etwa. Merkwürdige Quoten verraten es ihm. Über einen türkischen Freund versucht er, in das Geschehen der dortigen Liga einzugreifen. Der Versuch misslingt. Besser klappt es in der deutschen Regionalliga. Sapina schafft es, Mittelsmänner in der Szene zu platzieren: die Spieler Steffen Karl und Thorsten Bittermann. Sapina zahlt „Erfolgsprämien“, zum Beispiel an Dynamo Dresden, das gegen Preußen Münster gewinnen soll. „Die Münsteraner Spieler haben sich gewundert: Warum rennen die denn so?“, sagt Sapina und provoziert Lacher im Saal 500 – nicht zum ersten Mal.

Sapina hält seine gedungenen Kicker dazu an, Spiele zu verpfuschen und weitere Profis anzuwerben. Dann tut sich eine neue Möglichkeit auf. Sein Cousin aus München wird als Geschäftsführer des berüchtigten Cafés King nach Berlin bestellt: ein Schiedsrichter. Der Referee schreibt sich bei Hertha BSC ein, wo auch Robert Hoyzer als Unparteiischer gemeldet ist. „Er hat dann mal vorgeschlagen, dass alle einen Absacker im King trinken“, erzählt Ante Sapina. „Darunter war der Robert.“ Sie hätten sich gut verstanden, obwohl Hoyzer „ein bisschen herablassend gegenüber anderen war“. Eines Abends, „als Robert schon ganz schön angetrunken war“, kam es zum initialen Gespräch.

Sapina muss keine Überzeugungsarbeit leisten, im Gegenteil, Hoyzer offenbart ihm, dass ihm Mauscheleien bekannt seien und er selbst an einer mitgewirkt habe, konkret im Match von Sachsen Leipzig gegen den Chemnitzer FC. „Wenn er trinkt, redet er ein bisschen ausschweifender.“ Sapina wird vor Gericht immer wieder indiskret, bisweilen führt er Hoyzer regelrecht vor, zum Beispiel wenn er schildert, wie selbstgefällig Hoyzer seine Triumphe feiert und dabei Szenen vom verpfiffenen Match nachspielt.

Nach der durchzechten Nacht schritt man zur Tat. Weil jedoch der erste Versuch in Paderborn scheiterte, habe Hoyzer „um Wiedergutmachung“ gebeten. „Ein, zwei Tage später hat mir Robert ein anderes Spiel angeboten.“ Das Motiv scheint klar: Raffgier. Insgesamt hat Hoyzer 67.000 Euro von Sapina erhalten, einen Plasmafernseher im Wert von 3.620 Euro inklusive. Hoyzer setzte zur Vermehrung des Gewinns auch auf seine eigenen Spiele. Aus gemeinsamen Interessen wird „so etwas wie eine Freundschaft“. Man fährt zusammen in den Urlaub, in einer Halbzeit-SMS muntert Sapina den Schiri seiner Wahl mit den Worten auf: „Dicker, du bist so weit gekommen, jetzt musst du es auch durchziehen.“ Dickerchen zieht das durch – und wird nun schwer belastet: „Ich habe ihm nie gesagt, er soll weitermachen, er konnte immer selbst entscheiden, wie weit er gehen will.“

Bei über 2 Millionen Euro liegt der „nachweisbare Gesamtschaden“ für die Wettanbieter. Wer weiß, vielleicht hätte Ante Sapina auf legalem Weg genauso viel gewonnen. „Da war ich ja mit meinen normalen Wetten erfolgreicher“, hat er seinem Handlanger einmal vorgeworfen, als der auf dem Feld versagte. Robert Hoyzer nimmt die Aussage stoisch hin. Nur sein Kiefer mahlt.