Die Piraten im Wahlkampf: Wer will das sehen?
Transparent und integer wollen die Piraten sein. Doch sie präsentieren sich so verschlagen und brutal wie die Konkurrenz.
Es gibt Versprechen, die taugen zur Knobelaufgabe. In diese Kategorie gehört das, was Johannes Ponader, der zurzeit meistdiskutierte Promi aus dem Bundesvorstand der Piratenpartei, am Dienstagabend in gerade einmal neun Wörtern bekannt gab. Ganz transparent auf Twitter, na klar, verkündete der Politische Geschäftsführer der Piraten: „Wenn es Neuwahlen gibt, werde ich nicht wieder antreten.“ Die Frage ist, was dieser Satz eigentlich bedeutet.
Es ist kein Geheimnis, dass sich viele Piraten den Tag herbeisehnen, an dem der 36-jährige freischaffende Theaterpädagoge endlich sein Vorstandsamt hinschmeißt. Sie fürchten, dass Ponader mit seinen unberechenbaren Manövern den Bundestagswahlkampf chaotisiert. Längst ist er im Parteivorstand isoliert. Und nun also: die Erlösung? Der Klügere hat nachgegeben?
Es ist, wie so oft bei den Piraten, komplizierter. Als „absolute Null-Aussage“ wertete der bayerische Landesvorsitzende Stefan Körner das Rückzugsversprechen. „Ponader redet lieber über das Zurücktreten, statt es endlich zu machen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Dieses Verhalten schadet der Partei und nervt.“
Tatsächlich weiß niemand im Moment, wann genau die Parteispitze neu gewählt werden wird. Vielleicht schon im Frühjahr, wie von Ponader selbst angeregt, dann wäre dieser vermutlich bald Politischer Geschäftsführer a. D. Womöglich aber auch erst nach der Bundestagswahl im Herbst. Und: Gerade jene in der Partei, die sich zuletzt mehr oder weniger heimlich den Rücktritt Johannes Ponaders wünschten, waren oftmals erklärte Gegner seiner Neuwahlforderung. Ihre Sorge: Wenn sich die Partei bis zur Bundestagswahl mit Personalfragen aufhält, wird sich das Bild von der Selbstbeschäftigungspartei mit Therapiegruppencharakter bei den Wählern verstärken. Schlechte Voraussetzungen für die Bundestagswahl.
Vergiftetes Geschenk
Man kann Ponaders Rückzugsversprechen also auch als vergiftetes Geschenk werten. Wer ihn schnell loswerden will, muss auf seine Neuwahlstrategie einschwenken.
Entsprechend irritiert reagierte die Partei. Der große Stoßseufzer der Erleichterung blieb zunächst aus. Einige Piraten machten dem angefeindeten Parteipromi auf Twitter Mut, er solle doch erst mal die parteiinterne Online-Umfrage abwarten und sehen, ob die Basis ihn nicht doch als Vorstand behalten wolle: „Noch ist der Krieg nicht verloren. Du kannst immer noch eine Mehrheit erlangen.“ Schützengrabenrhetorik, die einiges verrät über die Gemütslage der Partei. Doch auch der Versuch, mit dem Hashtag #ichbinponader eine Solidarisierungswelle loszutreten, fand erst mal wenig Resonanz.
Nur wenige Stunden nach Ponaders Ankündigung distanzierte sich der saarländische Landesvorstand in einem förmlichen Beschluss gar „von dem Bundesvorstandsmitglied Johannes Ponader“ – „um weitere Schäden für den LV Saarland abzuwenden“. Ein weiteres Misstrauensvotum.
Dass der Vorstand ihn seit langer Zeit als Belastung empfindet, schien Ponader bisher kaum zu stören. Er wähnte sich sicher im Schoß der Basis, sprach immer wieder vom Rückhalt, den er dort genieße. Doch was genau die Basis wirklich von Ponander hält, ist unklar. Die Unterstellung, er fürchte ihr Votum, dementierte Ponader umgehend auf Twitter.
Trotz seiner prominenten Stellung in der Partei wirkt Ponader häufig unsicher, fast paranoid. Vor einer Woche stellte er mehrere SMS ins Netz, die er von dem Berliner Fraktionschef Christopher Lauer erhalten haben will. Botschaft der Kurznachrichten: Ponader solle zurücktreten, sonst „knallt es ganz gewaltig“. Von außen betrachtet ein schlechter Witz. Doch Ponader schien die Drohung ernst zu nehmen. Rechnete er wirlich mit dem ominösen „Knall“?
Der Streit der Piraten mit und um Johannes Ponader ist mehr als eine bizarre Personalie. Er verrät einiges über die Flügelkämpfe innerhalb der Partei. Johannes Ponader steht für eine Strömung von Idealisten und Utopisten, die für sich beanspruchen, den neuen, besseren Politikstil der Piraten in Reinform zu verkörpern: nicht intrigant und hinterfotzig, wie man es den „etablierten“ Parteien nachsagt, sondern maximal gläsern, ehrlich, authentisch, stets bottum up statt top down – und irgendwie voll anders halt.
Doch seit Monaten präsentiert sich die Partei in der Öffentlichkeit exakt so wie die verachtete politische Konkurrenz: misstrauisch, verschlagen, brutal im persönlichen Umgang. Unlängst twitterte ein Pirat: „Neu im Ermahnungsrepertoire von Kindergärtner*Innen: ’Ihr seid schlimmer als die Piraten!‘“ Tatsächlich wirken die Konfliktlösungsstrategien führender Piraten regelmäßig unterkomplex. Hinter vielen auf den ersten Blick kindischen Kontroversen stehen allerdings große Fragen: Wann ist man als Pirat privat, wann politisch? Was verstehen die Piraten unter Transparenz? Und was genau sind demokratische Entscheidungen?
„Democrazy anyone“
Nirgendwo lässt sich das besser ablesen als am Streit um Ponader. Nachdem seine Bundesvorstandskollegen am Montag mit fünf von sieben Stimmen eine Online-Vertrauensfrage beschlossen hatten, zweifelte Ponader prompt die demokratische Legitimität des Verfahrens an: „Democracy anyone?“ Seine Gegenspieler in der Partei hingegen werfen gerade Ponader vor, er halte sich regelmäßig nicht an Mehrheitsbeschlüsse. Und sei damit selbst ein fragwürdiger Demokrat.
Einige in der Partei unterstellen Ponader inzwischen, den Bezug zur Realität verloren zu haben. Oder, wie es in einer der von Ponader ins Internet gestellten Droh-SMS heißt: „Alter, wie verstrahlt bist Du denn?“
Was für eine Karriere. Noch vor einem Jahr in den Medien als schillerndes Wunderkind der Partei, als hochbegabter Denker und Visionär gehandelt, steht Ponader heute als Problemfall am Pranger, als Störfaktor im Bundesvorstand. „Das muss doch kaum auszuhalten sein, dieser Druck“, twitterte am Mittwoch ein Pirat. Ponader reagiert nicht darauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit