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Der Kommentar

Die Pflegereform bringt es nicht Help the Aged!

Die Deutschen haben einen Anspruch darauf, im Alter in Würde leben und sterben zu können. Deshalb brauchen wir eine solidarisch getragene Pflege-Vollversicherung.

Ein würdevolles Endkapitel des Lebens der Alten scheint für die Politik kein Thema Foto: Jana Bauch / dpa

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 25.07.2023 | Die damalige Bundesregierung aus Union und SPD hat kurz vor der Bundestagswahl 2021 das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) beschlossen und damit den Pflegeberuf aufgewertet. Dadurch sind die Löhne des Pflegepersonals, gebunden an Tarifverträge oder regional übliche Löhne, zum 1. September 2022 deutlich gestiegen. Das sollte dazu beitragen, den Mangel an Pflegefachkräften zu mindern. Die Finanzierung dieser Lohnsteigerung sollte mit den Pflegekassen und den Sozialämtern ausgehandelt werden, was aber bis heute nicht abschließend gelungen ist.

Die Pflegeversicherung ist eine Teilkaskoversicherung. Die Lohnerhöhungen fürs Pflegepersonal müssen aus dem Eigenanteil der Pflegeheimbewohner finanziert werden, sowie den von den Pflegekassen verwalteten Beiträgen aller Beitragszahler zur Pflegeversicherung, die mit dem GVWG minimal erhöht worden sind. Es war schon bei der Verabschiedung des GVWG klar, dass die Lohnerhöhungen letztlich nur über eine Erhöhung der Eigenanteile in der stationären Pflege finanziert werden können.

Die aktuell rund 819.000 Heimbewohner zahlen im Juli 2020 nach Erhebungen des Verbandes der Ersatzkassen (vdek) im Durchschnitt 2.200 Euro pro Monat Eigenanteil an ihren Pflegekosten. Das waren im Juli 2022 schon 75 Euro mehr als im Juli 2021. Wegen der Inflation, den erhöhten Energiepreisen, den steigenden Kosten aller externen Dienstleistungen und anderem ist laut vdek noch in diesem Jahr mit weiteren Steigerungen des Eigenanteils zu rechnen, so dass er sich 3000 Euro pro Monat nähert.

Keine Kostendeckung

Das Problem: Die überwiegende Mehrheit der Pflegeheimbewohner kann diesen hohen Eigenanteil aus ihren Renten und Ersparnissen nicht aufbringen. Sie müssen daher bei den Sozialämtern die Übernahme ihrer Pflegekosten aus der Sozialhilfe beantragen. Ihnen verbleibt dann ein monatliches Taschengeld von 120 Euro. Alle Angehörigen 1. Grades, die weniger als 100.000 Euro brutto im Jahr verdienen, werden von der Übernahme der Eigenanteile befreit. Der Anteil der Sozialhilfe an der Finanzierung der Pflege steigt damit weiter an.

Die höheren Löhne fürs Pflegepersonal sind berechtigt. Gleichzeitig haben sie das Pflegedrama in der Republik offengelegt: Mit dem Pflegeteilkaskoprinzip – Beiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Pflegeversicherung plus Eigenanteile der Pflegeversicherten – können weder die Personalkosten noch die Sachkosten der stationären Pflege abgedeckt werden. Daran ändern auch die staatlichen Zuschüsse zu den erhöhten Eigenanteilen nichts.

Die Zahl der Alten in Deutschland wird bis mindestens 2040 stark zunehmen. Die Lebenszeit der Deutschen in Gesundheit und Krankheit wird immer länger. Ihre Pflegebedürftigkeit nimmt zu. Die Politik ignoriert das.

Anspruch auf Respekt und Empathie

Ein würdevolles Endkapitel des Lebens der Alten ist für sie kein Thema. Die Leute sind mit dem Eintritt in ihre Rente abgeschrieben. Sie sind in zunehmender Einsamkeit weitgehend sich selbst überlassen und müssen zudem Altersdiskriminierung ertragen. Dabei haben gerade diese Alten für die ihnen folgenden Generationen gesellschaftliche Lebensumstände erarbeitet, in denen diese ihre Zukunftsperspektiven weitgehend unbehindert verfolgen können.

Die Alten haben einen Anspruch darauf, bis zu ihrem Sterben von der Gesellschaft respektvoll und mit Empathie behandelt zu werden. Eine Gesellschaft, die es nicht schafft, ihre Alten mit dem zu versorgen, was sie in ihren letzten Jahren brauchen, sie zu begleiten, zu schützen und wenn nötig zu pflegen, gibt ihre Bindungskraft nach innen auf. Sie lockert die gesellschaftliche Verantwortung und Solidarität aller Generationen füreinander. Sie verliert ihre humane Substanz.

Eine Pflege-Vollversicherung ist möglich und finanzierbar. Sie war auch schon 1995 möglich, als gegen das Votum des Arbeits- und Sozialministers Norbert Blüm (CDU) nur die Pflege-Teilkaskoversicherung eingeführt worden ist. Blüm wollte eine Pflege-Vollversicherung, die im Umlageverfahren von allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus ihren Beiträgen finanziert werden sollte, kostendeckend wie die Krankenversicherung. Diese Pflege-Vollversicherung hätte nach dem Vorbild Dänemarks für alle Alten, alles das, was sie jemals an Pflege brauchen würden, vorgehalten und gewährt. Die FDP hat das damals verhindert. Sie wollte, dass die Alten selbst dafür verantwortlich bleiben, wie sie sterben. Jeder ist seines Glückes und auch seines Sterbens Schmied – das war ihre asoziale Devise.

Eine Frage der Finanzierung

30 Jahre später versucht die Politik parteiübergreifend noch immer das Pflege-Teilkaskomodell fortzuschreiben. Aber wenn die Mehrheit der Alten ihre Eigenanteile in der Pflege nicht aus ihren Renten bezahlen kann und die Steuerzahler das ohnehin zusätzlich zu ihren Pflegebeiträgen mit ihren allgemeinen Steuern finanzieren müssen, dann wäre ein Neuanfang geboten, der alle Pflegekosten aus einer Hand finanziert und organisiert: Eine Pflege-Vollversicherung, am besten in die öffentlichen Krankenkassen integriert, beitragsfinanziert aus allen Einkommensarten.

Sicher: Die Beiträge zu einer integrierten Kranken- und Pflegeversicherung würden deutlich ansteigen. Aber hier lohnt ein Blick zurück ins Jahr 1995. Der Einstieg in die Pflege-Teilkaskoversicherung wurde damals durch den bundesweiten Verzicht auf einen Feiertag – den Buß- und Bettag – von Arbeitnehmern und Arbeitgebern gemeinsam finanziert.

Die Pflege-Vollsicherung der Zukunft könnte durch den Verzicht aller Arbeitnehmer auf einige Urlaubstage, den freien Pfingstmontag und Himmelfahrt finanziert werden. So ein Akt der Solidarität könnte das Miteinander der Generationen wieder befestigen und würde die Bereitschaft der Gesellschaft stärken, die anderen anstehenden Menschheitsfragen gemeinsam anzugehen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.