: „Die Party geht so oder so zu Ende“
Mit Weltwirtschaftsgipfeln hat der schwedische Philosoph und Ökonom Erfahrung: 1992 initiierte er ,,Toes“, eine Gegenveranstaltung zum G-7-Gipfel in München. Bereits 1980 hat er den Alternativen Nobelpreis gestiftet. Sein jüngstes Projekt ist der Weltzukunftsrat (WFC) mit Sitz in Hamburg. Im taz-Interview spricht er über Lösungen, wie die globalisierte Welt doch noch zu retten ist
Mit Weltwirtschaftsgipfeln hat der schwedische Philosoph und Ökonom Erfahrung: 1992 initiierte er „Toes“, eine Gegenveranstaltung zum G-7-Gipfel in München. Bereits 1980 hat er den Alternativen Nobelpreis gestiftet. Sein jüngstes Projekt ist der Weltzukunftsrat (WFC) mit Sitz in Hamburg. Im taz-Interview spricht er über Lösungen, wie die globalisierte Welt doch noch zu retten ist
INTERVIEW GERNOT KNÖDLER UND DANIEL WIESE
taz: Herr von Uexküll, es gibt viele Institutionen, die versuchen, die Welt zu retten. Wozu brauchen wir einen Weltzukunftsrat?
Jakob von Uexküll: Es gibt viele Organisationen, die sehr kurzfristig angelegt oder sehr spezialisiert sind, aber nichts wie den World Future Council, den Weltzukunftsrat.
Was ist mit dem Club of Rome, der in den 70er Jahren mit seinem Bericht „Grenzen des Wachstums“ Furore gemacht hat?
Wenn der Präsident des Club of Rome der Meinung wäre, es bräuchte keinen Weltzukunftsrat, dann wäre er nicht bei uns Gründungsmitglied geworden. Der Club of Rome befasst sich mit Umweltthemen und er hat Analysen geliefert. Wir gehen einige Schritte weiter.
Wie machen Sie das?
Indem wir mit demokratisch gewählten Parlamentariern weltweit zusammenarbeiten. Wir hatten von Anfang an eine Partnerschaft mit der Initiative für ein elektronisches Parlament, dessen Mitglieder nicht nur elektronisch zusammenkommen, sondern auch in Hearings. Das erste haben wir im November nach der Klimakonferenz in Nairobi veranstaltet. Im Ergebnis wurde die Energiegesetzgebung in einem afrikanischen Land verbessert und es entstanden entsprechende Initiativen in zwei anderen afrikanischen Ländern. Es geht uns darum, Lösungen zu identifizieren, die zum Teil ja schon existieren, und dafür zu sorgen, dass sie sich verbreiten.
Das klingt nach klassischer Lobbyarbeit, wie sie Greenpeace oder Attac machen. Weshalb sollten Sie mit dem WFC weiter kommen?
Wir integrieren Ansätze, die bei anderen Organisationen isoliert waren. Für mich ist Greenpeace eine tolle Organisation. Aber es fehlt eine Organisation, die eine stark normative Funktion hat. Wir verstehen den Weltzukunftsrat als Stimme künftiger Generationen. Die werden bei Entscheidungen, die heute getroffen werden, nicht gefragt. Bei den Ureinwohnern Nordamerikas gab es das Prinzip der siebten Generation, nach dem alle Entscheidungen daraufhin überprüft werden sollten, wie sie sich in der siebten Generation auswirken. Man kann den Weltzukunftsrat analog sehen zu einem Verfassungsgericht. Das überprüft Beschlüsse auf ihre Verfassungsmäßigkeit. Der WFC überprüft sie auf ihre Zukunftsfähigkeit.
Das ist ein moralischer Ansatz: Sie reden den Entscheidungsträgern ins Gewissen. Verkennen Sie nicht, dass hinter den zerstörerischen Tendenzen unserer Ökonomie und Politik massive Interessen stehen?
Gerade deswegen brauchen wir einen moralisch-ethischen Ansatz. Denn nur der hat letztlich zum Erfolg geführt. Hinter der Sklaverei standen in den USA und Großbritannien massive wirtschaftliche Interessen. Sie war auch politisch völlig akzeptiert. Aber eine kleine Gruppe von Menschen sagte, sie sei moralisch und ethisch unerträglich. Innerhalb einer Generation hatten sie Erfolg.
Manche sagen, das habe am kapitalistischen Markt gelegen, der die Freisetzung von Arbeitskräften forderte.
Das kann man behaupten. Aber die Sklaverei war die Basis der ganzen Wirtschaft im Süden der USA, und auch Großbritannien hat stark profitiert. Es gibt auch andere Beispiele: Das Frauenwahlrecht wurde erst eingeführt, als man daraus eine moralisch-ethische Frage machte.
China und Indien haben heute einen starken Hunger nach Entwicklung. Ist das ein Bedürfnis, das man aus moralisch-ethischer Sicht negieren kann?
Das kommt darauf an, was Entwicklung bedeutet. Für die Mehrheit der Inder hat sich die Lebensqualität und die Lebenssicherheit in den vergangenen 20 Jahren verschlechtert. Das größte Verbrechen für mich ist, dass wir die Sonne und den Wind nicht maximal nutzen. Damit könnten Sie eine Entwicklung fördern, die nicht zu Lasten der Umwelt und der Zukunft geht. Es gibt die Naturgesetze, die über jeder Wirtschaft stehen und auch über jeder Kultur und Ethik. Das haben wir vergessen. Wir haben gefeiert und jetzt geht die Party so oder so zu Ende. Die Frage ist, wie viel Lebensqualität und Sicherheit wir schaffen können mit viel weniger Ressourcen.
Es besteht aber doch kein Konsens darüber, dass die Party zwangsläufig bald vorbei ist. Der Anteil der Chinesen, der mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen muss, ist jedenfalls kleiner geworden.
Sicher hat es in China einen Aufschwung beim Konsum gegeben. Aber viele Bauern haben das Land verlassen und sind in Slums gelandet. Das Wachstum gab es ja nur, weil man seine ökologischen Folgen ignoriert hat. Dieses Modell hat keine Zukunft. Das Klimachaos ist nur ein Beispiel dafür, aber das markanteste. Wenn wir das nicht lösen, werden wir auch andere nicht lösen: weder Armut, noch Hunger, noch Kriege.
Nun liegen die Lösungen für die Probleme keineswegs auf der Hand. Wieso sollten sich ausgerechnet die sehr unterschiedlichen Mitglieder Ihres Zukunftsrates darüber einig werden?
Ich glaube nicht, dass es gelingen wird, immer einen Konsens zu finden. Aber in der Grundanalyse haben wir schon festgestellt, dass es einen Konsens gibt, obwohl wir eine extrem breit gefächerte Organisation haben. Es sind darin Parlamentarier vertreten, Leute aus der Zivilgesellschaft, Vertreter der Geschäftswelt, der Kultur und der Wissenschaft. Da war es für mich schon eine Überraschung, dass überhaupt so viel Konsens entstand, sicher auch durch den Druck der Ereignisse.
Die Probleme räumen ja inzwischen selbst Politiker ein. Wieso hapert es beim Handeln?
Ich glaube, man kann einen breiten Konsens finden, zum Beispiel über die schnellstmögliche Verbreitung von erneuerbaren Energien. Allerdings wirken hinter den Kulissen kurzsichtige Wirtschaftsinteressen. Die muss man publik machen. Das Hauptproblem ist, dass sich die Wirtschaft als Einheit sieht. Ich sage immer zu Unternehmern, die tatsächlich so genannt werden können: „Ihr solltet euch viel klarer distanzieren von denen, die ein Teil des Problems sind.“ Der Glaube, unbewegliche Unternehmen würden diese tief greifende Wende überleben, ist falsch. Denen wird es gehen, wie den Pferdedroschken-Herstellern bei der Einführung des Automobils.
Der Club of Rome malte schon in den 70er Jahren die Zukunft in düsteren Farben. Trotzdem hat sich wenig verändert. Woher nehmen Sie Ihre Energie?
Von den Preisträgern des Alternativen Nobelpreises, weil die ja jeden Tag viel mehr riskieren als ich. Solange die nicht aufgeben, sehe auch ich keinen Grund, aufzugeben. Außerdem gibt es Beispiele für beherztes Handeln. Als sie vom Faschismus bedroht wurden, stellten Großbritannien und die USA ihre Volkswirtschaften in kürzester Frist auf die Kriegsproduktion um. In Großbritannien wurde der private Autoverkehr innerhalb von Monaten um 95 Prozent reduziert.
Haben Sie angesichts der vielen Widerstände schon einmal bedauert, Ihre Briefmarkensammlung verkauft zu haben, aus deren Erlös sie den Alternativen Nobelpreis finanziert haben?
Nein, sie war immer ein Mittel zum Zweck, obwohl mich die Welt der Briefmarken fasziniert hat. Im vergangenen November hatten wir in Berlin ein Benefizkonzert für den Alternativen Nobelpreis. In der Pause kam jemand zu mir und bot mir die Briefmarkensammlung an, die er von seinem Vater geerbt hatte. Die haben wir am nächsten Tag abgeholt und zu Gunsten des Preises versteigert.
Sie handeln nicht mehr selbst mit Briefmarken?
Nein. Damals war das das Einzige, womit ich viel Geld verdienen konnte. Man wird Spezialist auf einem Gebiet und lebt davon. Ich habe als Journalist gearbeitet und bin viel gereist. Aber die Zeitungen, für die ich schrieb, zahlten schlecht, also habe ich mich von meinem Hobby ernährt. Ich bin kein guter Bettler. Wenn ich sehe, ich kann etwas tun, will ich wenigstens das Anfangskapital haben.
Hatten Sie von Anfang an vor, mit dem Geld einen Alternativen Nobelpreis zu stiften?
Ich wollte etwas mit dem Geld machen, ich wusste nur nicht, was. Mich hat immer gewundert, warum wir mit Problemen leben, die wir lösen können, und habe mir dann überlegt, wie man Lösungen bekannt machen kann. Als jemand, der in Schweden aufgewachsen ist, dachte ich: Wenn man einen Nobelpreis bekommt, wird man ernst genommen. Das Kapital, das ich in die Stiftung einbrachte, hat aber nie ausgereicht, um den Preis auf Dauer zu finanzieren. Wir waren immer von Spenden abhängig.
Der Weltzukunftsrat wird ja auch durch Spenden finanziert.
Als ich die Idee hatte, bekam ich gleich einen Anruf vom SWR Baden-Baden, der die Sitzungen übertragen wollte. Ich sagte, ich sei verantwortlich für eine unterfinanzierte globale Initiative. Ich wüsste gar nicht, wie ich anfangen sollte, so etwas auf die Beine zu stellen. Da brachten die mich mit dem kürzlich verstorbenen Grafen von der Groeben zusammen. Von der Groeben sagte: „Ich könnte überhaupt nicht mit mir leben, wenn ich diesem Projekt keine Chance gäbe.“ Da haben wir mit einem Startkapital von 200.000 Euro die Initiative für einen World Future Council gegründet.