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Die Orthodoxen vom Berg Athos

Eintrittsverbot für Ziegen und andere weibliche Wesen/ Relikt aus dem zehnten Jahrhundert/ EG erkennt die „unabhängige Mönchsrepublik“ an/ Nachwuchsstrom aus Osteuropa/ Griechische Wendepolitiker nutzen religiösen Eifer  ■ Aus Athen Robert Stadler

Griechenland gehört zur EG. Das heißt: nicht ganz. Am östlichsten Zipfel der Halbinsel Chalkidiki klammert sich wacker ein hartnäckiges Völkchen von Schwarzröcken an ihren Berg und will von Brüssel und anderen Modernismen nichts wissen. Die Rede ist vom Heiligen Berg Athos, trotz allen Angriffen der Athener Regierung ein autonomes, selbstverwaltetes und binnenmarktexternes Stück Himmelreich von 400 Quadratkilometern.

Will man sich unter die Mönche des Heiligen Berges mischen, ist folgerichtig das griechische Außenministerium die zuständige Adresse, dem die Verwaltung der unorthodoxen Landzunge zugewiesen wurde. Ob man dann tatsächlich auf Athos bleiben darf, entscheidet der sogenannte „Protepistatis“, eine Art Inspizient, vor Ort. Ohne seine Einwilligung bliebe die Gastfreundschaft bei den insgesamt 20 Klöstern aus. Mit ihr versehen wird man jedoch verköstigt und erhält ein Bett zugewiesen, alles ohne zu zahlen, wie im Paradies. Der Heilige Berg hat sein eigenes Gesetz, und das gesteht ihm auch die griechische Verfassung zu „gemäß seinem alten privilegierten Status“. Einschränkungen für bestimmte Besucherkategorien waren seit jener famosen Bulle des Patriarchen Alexis I. Tradition auf Athos: Keine Frauen, keine bartlosen Jugendlichen und keine Eunuchen. Bei Zuwiderhandeln drohen Strafen bis zu einem Jahr Gefängnis. Für Frauen blieb dieses Eintrittsverbot bis heute aufrecht: allein die Jungfrau Maria hat Bleiberecht im Mönchsstaat. Auch für die Zukunft wird eine entsprechende Reform „ausgeschlossen, bzw. nicht einmal diskutiert“. Nur zur Gefängnisstrafe greifen die Mönche schon lange nicht mehr. Der letzte bekannte Versuch eines weiblichen Wesens, die Klosterschranken zu überschreiten, ist jener der mutigen Melina Merkouri, der langjährigen Kulturministerin der PASOK-Regierung. Selbst Melina scheiterte am Bergesfuß. Glücklicher waren da einige Hühner. Denn obwohl jedem weiblichen Wesen, also auch Ziegen, und Eselinnen der Zutritt untersagt ist, wurde für sie eine Ausnahme gemacht, da Eigelb für die Produktion von Ikonenfarben unverzichtbar ist.

Die Unabhängigkeit der „Mönchsrepublik Athos“ ist ein Überbleibsel aus dem zehnten Jahrhundert, als der byzantinische Kaiser Nikiphoros Phokas die dortigen Klöster mit Sonderrechten ausstattete. Von 963 bis heute blieb Athos danach ein Mekka der orthodoxen Kirche, und Kreuzzüge, Piratenüberfälle und die mehr als 400jährige Türkenherrschaft vermochten es nicht, die Kontinuität dieser religiösen Enklave zu brechen. Kurioserweise ist Athos heute der einzige Fleck EG, der — laut kanonischem Recht — von einem türkischen Staatsbürger regiert wird, genauer gesagt dem Patriarchen von Konstantinopel, Monseigneur Dimitriu. Etwa 1.700 Mönche besiedeln heute den Athos, beten, meditieren und fangen Fische. Wieviel es genau sind, weiß niemand — die Athener Volkszähler haben keinen Zutritt zum Athos.

Seit dem Jahr 1971, einem Tiefpunkt beim Personalstand, brauchten sich die Klöster nicht mehr über Nachwuchsmangel zu beklagen, es gibt seither mehr Novizen denn Abgänge qua mortem. Die politischen Veränderungen in den ehemals kommunistischen Staaten erleichterten plötzlich auch die Kontakte zu den dortigen Schwesterkirchen. Bulgarien, Rußland oder Rumänien fordern eine größere Anzahl von Mönchen auf Athos aus ihren Reihen.

Als Griechenland 1981 der EG beitrat, garantierte ein Zusatzparagraph den Mönchen vom Athos auch weiterhin alle Rechte, die ihnen die Athener Regierung eingeräumt hatte. Die EG anerkannte auch finanziell die zunehmende Bedeutung des „lebenden Denkmals“ als Symbol für ein vereintes Europa. 1989 noch unterstützt mit 100.000 Ecu, hat sie für dieses Jahr den Betrag gleich verdreifacht. Der griechische Staat war im letzten Jahrzehnt ebenfalls bemüht, den Athos-Klöstern bei der Instandhaltung von Gebäuden, Einsiedeleien und Wandmalereien unter die Arme zu greifen. Nach der „Wende“ in Griechenland wird auch die politische Rückendeckung für die Ideen der orthodoxen „Mönchsrepublik“ verstärkt. Der konservative Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis versprach jüngst bei einem Besuch am Athos den dankbar lauschenden Mönchen: „Unsere Politik ist es, Religion und Gott wieder in den Schulen zu verankern.“ A propos Anker: Als im letzten Sommer eine Frau mit ihren beiden Töchtern beim Kloster Lavra Schiffbruch erlitt, sprangen die Mönche — Gesetz hin, Gesetz her — über ihren Schatten und ihnen zur Hilfe: bis ein Hubschrauber eintraf, durften die Frauen unter den Patriarchen weilen.

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