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■ Die Niedersachsen-Wahl zeigt: In Zeiten der Parteienverdrossenheit sind Personen besonders wichtig. Das sollten die Grünen beherzigenVon Schröder lernen

Ist Schröder ein Automann? Natürlich! Sucht er die Nähe der Industriekapitäne? Gewiß. Ist ihm sein Image alles und nichts heilig? Schreckt er auch vor populistischer Profilierung auf Kosten von Minderheiten nicht zurück? Auch das.

Was also signalisiert sein Wahlerfolg? Die Verführbarkeit des Souveräns? Vielleicht, aber wozu? Ist das Votum für ihn nicht auch die Honorierung des Versprechens einer neuen Politik?

Seit Jahren schon ist das Publikum angeödet vom Stillstand der Politik. Jetzt kommt einer und suggeriert, mit ihm sei diese Lähmung zu überwinden. Schröders Erfolg offenbart nicht einfach Naivität der Wähler, darin manifestiert sich eine Stimmung, die auf Veränderung drängt. Der machtvolle Drang zum Mandat für eine neue Politik wird unter diesen Umständen eher als befreiend denn als beängstigend empfunden.

Nun hat selbst der linke Flügel der Grünen akzeptiert, daß mit Gerhard Schröder die Chancen deutlich besser sind, als sie mit Oskar Lafontaine gewesen wären. Doch könnte ebendiese Chance verspielt werden, wenn die Grünen sich lediglich der Popularität Schröders anbequemten, ohne Konsequenzen aus seinem Erfolg zu ziehen.

Die Grünen sind nicht frei von der Versuchung, Politik durch sterile Wahlarithmetik zu ersetzen. Neben dem rechten Schröder, der die Potentiale in der Mitte ausschöpft, hätten sie in dieser Anordnung die linke Flanke abzudecken. Die eigene Identität schärfen – so heißt das dann im Jargon wohlfeiler Parteitagsreden. Doch so einfach geht die politische Gleichung nicht auf, zumal sich hinter solcher Rhetorik aller Erfahrung nach eine Redogmatisierung grüner Politik verbirgt. Die aber ist Gift für einen Aufbruch zu neuen Ufern.

Es ist nicht so, daß Reformmehrheiten auf der Straße liegen und nur buchhalterisch aufgelesen werden müßten, indem jede Partei ihre Stammwählerschaft mobilisiert. Die gesellschaftliche Mehrheit für eine neue Politik ist ein eigenes Projekt, das jetzt beherzt vorangetrieben werden muß. Die Situation ist da, politisch muß sie im Wahlkampf erst noch umgesetzt werden.

Rechte wie linke Kritiker – gequält die einen, rechthaberisch die anderen – haben Schröder nicht ohne Grund vorgeworfen, daß er vielen vieles verspricht, was er bei Lichte besehen nicht wird halten können. Solche Kassandrarufe ließen sich auch im Vorfeld der Wahlsiege von Bill Clinton 1992 und von Tony Blair 1997 vernehmen. So recht sie im Detail hatten, übersahen sie doch das Entscheidende: Bei aller unscharfen Rhetorik trafen Clinton und Blair den wunden Punkt einer abgewirtschafteten Regierung, die nicht die Kraft hatte, die notwendigen Reformen an der Arbeitsgesellschaft vorzunehmen und die Probleme der Arbeitslosigkeit, des Steuer- und Sozialversicherungssystems auch nur im Ansatz zu lösen. Diesen Punkt hat auch Schröder getroffen. Bei aller Vagheit und mitunter auch Inkompatibilität seiner eigenen Perspektiven hat er wie zuvor die angelsächsischen Reformhelden dem Verlangen nach einer neuen Politik ein Momentum verliehen, das es seitens der Grünen auszufüllen und nicht auszubremsen gilt.

Die Grünen, deren Wählerbogen enger bemessen ist als der einer Volkspartei, müssen der Reformperspektive Konturen und Richtung geben. Gegenüber den großen Parteien müssen sie sich durch einen beherzten Abschied von selbstgenährten Mythen auszeichnen – und bittere Wahrheiten auch aussprechen. Nur so werden Dimension und Notwendigkeit der zu leistenden Reformen klar. Daß die Rekonstruktion der Vollerwerbsgesellschaft auch nur denkbar wäre, ist der wohl zentrale Mythos, der quer durch die politischen Lager geistert. Der Abschied von ihm ist die Voraussetzung einer grundlegenden Reform unseres Wirtschafts-, Steuer- und Sozialsystems. Die Reform des Steuersystems und der sozialen Sicherung auf den Aspekt der Senkung der Lohnnebenkosten zu verengen ist verantwortungslos gegenüber den Modernisierungsverlierern, genauso, wie der Versuch hilflos ist, nachhaltige Beschäftigungszuwächse allein durch Beschäftigungsprogramme und abseits des innovativen Stachels der Marktkonkurrenz erzielen zu wollen. Die neoliberalen wie die neosozialistischen Konzepte bewegen sich im überkommenen Kontext der Arbeitsgesellschaft und sind daher lediglich die Kontrahenten eines ständisch-korporativ geführten Verteilungskampfes, der überdies nichts zur Schonung der natürlichen Ressourcen beiträgt.

Nur in der gemeinsamen Transformation der Arbeitsgesellschaft wird Europa seine sozialen Traditionen wahren und in der globalen Konkurrenz bestehen können. Notwendig ist also ein gesellschaftlicher Konsens über die Neubewertung und die Neuverteilung von Arbeit. Der Ausbildung und Pflege der menschlichen und der natürlichen Ressourcen kommt dabei besondere Bedeutung zu. Allein darauf kann eine grundlegende Reform des Steuersystems und des Sozialstaats gründen. Ohne eine angemessene soziale Grundsicherung wird dieser Konsens nicht zu erzielen sein. Und ohne die Verteuerung des Verbrauchs natürlicher Ressourcen ist ein schonender Umgang mit der Umwelt nicht erreichbar.

Bündnis 90/Die Grünen haben dazu Vorschläge entwickelt, die sich den Herausforderungen des sozialökologischen Umbaus in einer globalisierten Welt stellen. Die Grünen sollten sich als mutige Innovationspartei profilieren, die weiß, daß neue, auch ungesicherte Wege beschritten werden müssen. Sie müssen Schröder kritisieren, wo er es sich einfach macht, alles widerspruchslos auflösen will. So können sie Autorität nicht nur im linken Lager, sondern auch bei der liberalen Mitte gewinnen.

Die Parteien werden überwiegend als verstaubt und uninspiriert wahrgenommen. Deshalb wird der Abstand zur Partei, den ein Politiker markiert, nicht bestraft, sondern honoriert. Unabhängigkeit zählt in einer Zeit ungesicherter Wahrheiten. Auch die Grünen täten gut daran, die Leine für Joschka Fischer lang zu lassen. Der Parteimann Trittin dagegen wird bei all seiner verschmitzten Listigkeit die Aura des Politkommissars nicht los.

Die Grünen sehen sich unter allen Parteien dem größten Potential noch unentschlossener Wähler gegenüber. Stimmungswähler aber können eher über eine glaubwürdige Person als über ein Parteiprogramm gebunden werden. Das ist der positive Aspekt der Personalisierung von Politik. Daniel Cohn-Bendit

Frank Herterich

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