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■ Die Neuregelung bei den 620-Mark-Jobs, die am 1. April 1999 in Kraft treten soll, läßt fast alles beim alten. Wer im Monat nicht mehr als 620 Mark verdient, muß künftig weder Sozialversicherungsbeiträge noch Steuern zahlen.Kellnerinnen b

Die Neuregelung bei den 620-Mark-Jobs, die am 1. April 1999 in Kraft treten soll, läßt fast alles beim alten. Wer im Monat nicht mehr als 620 Mark verdient, muß künftig weder Sozialversicherungsbeiträge noch Steuern zahlen.

Kellnerinnen bleiben reich

Die Arbeitgeber sind erleichtert. Die Gewerkschaften murren. Die Opposition ist schadenfroh. Und die Beschäftigten wurden ohnehin nie gefragt. Der Koalitionskompromiß zu den 620-Mark-Jobs hat gestern unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Entrüstungsstürme aber blieben aus, und so zeigt sich, daß der Kompromiß vor allem eine Qualität hat: Niemandem wurde weh getan. Fast bleibt alles so, wie es ist.

Die Bundesregierung hatte am Donnerstag angekündigt, daß die Geringfügigkeitsgrenze von 620 Mark beibehalten werden soll. Im Klartext: Wer wie bisher im Monat nicht über 620 Mark verdient, muß keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen und braucht sein Einkommen nicht zu versteuern. Diese 620-Mark-Grenze soll auch für den Osten gelten und künftig eingefroren werden.

Arbeitgeber müssen in Zukunft jedoch 22 Prozent an Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen für ihre Beschäftigten zahlen, dafür entfällt die Pauschalbesteuerung von bisher 22 Prozent. Die Minijobber erwerben damit aber keine neuen Ansprüche auf Rente oder Krankengeld, es sei denn, sie leisten freiwillig eigene Rentenbeiträge (siehe Beitrag rechts).

Finanziell nehmen sich die neuen 620-Mark-Pläne somit wie ein Nullsummenspiel aus. Finanzminister Lafontaine fehlen künftig die Einnahmen aus der Pauschalsteuer, nach vorliegenden Rechnungen rund vier Milliarden Mark im Jahr. Die gleiche Summe müßten rein rechnerisch jetzt die Renten- und Krankenkassen kassieren.

Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) sprach daher gestern auch von einer „sozialpolitischen Mogelpackung“. Die bisherige Pauschalsteuer werde als Beitrag getarnt, kommentierte DAG-Vorstandsmitglied Lutz Freitag. Dies sei wegen der fehlenden Gegenleistung verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Der Deutsche Gewerkschafts-Bund (DGB) forderte „Nachbesserungen“, konkret Maßnahmen, die das Aufstückeln von Vollzeitstellen in 620-Mark-Jobs hemmen. Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) begrüßten die Neuregelung, damit könne man „gut leben“, heißt es beim DIHT.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) kritisierte die „unseriöse Gegenfinanzierung“. Der Bund belaste die Länder einseitig mit Steuerausfällen in Höhe von rund 2,5 Milliarden Mark im Jahr, da die Pauschalsteuer wegfalle.

Die bayerische Arbeitsministerin Barbara Stamm (CSU) äußerte in München verfassungsrechtliche Bedenken, da die Gleichmäßigkeit der Besteuerung künftig nicht mehr gewährleistet sei. Da 620-Mark-Jobs steuerfrei bleiben, muß ein Beschäftigter, der einen Hauptjob und einen 620-Mark-Job hat, weniger Steuern zahlen als ein Kollege, der die gleiche Gesamtsumme mit einem Job verdient.

Um Mißbrauch zu verhindern, sollen die Minijobs künftig auf der Lohnsteuerkarte vermerkt werden. Das bedeutet, daß die geringfügig Beschäftigten künftig eine Lohnsteuerkarte vorlegen müssen. Bisher war es nur erforderlich, dem Arbeitgeber den Sozialversicherungsausweis zu zeigen. Die Minijobs mußten von Unternehmern dann den Krankenkassen gemeldet werden, ohne daß Beiträge fällig wurden. Viele Arbeitgeber kamen dieser Meldepflicht jedoch nicht nach, sondern zeigten die Minijobs nur beim Finanzamt an und führten die Pauschalsteuer ab.

Nach der neuen Regelung müssen die Arbeitgeber jetzt für jeden Beschäftigten bei der Krankenversicherung einen Meldebogen ausfüllen und Renten- und Krankenkassenbeiträge zahlen. In der Bekämpfung des Mißbrauchs „kann das schon eine Verbesserung sein“, sagt Christian Gramß, Sprecher der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA).

Im Unterschied zur bisherigen Pauschalsteuer kann der Unternehmer künftig die neuen Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr auf den Arbeitnehmer abwälzen. Damit werden die Jobs für jene Firmen teurer, die bisher die Pauschalsteuer den Arbeitnehmern aufdrückten und ihnen entsprechend den Bruttolohn kürzten. Die Minijobs könnten damit für viele Arbeitgeber um 20 Prozent teurer werden, erklärt Günther Wassmann, Geschäftsführer beim Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE). Trotzdem rechnet er nicht damit, daß diese Jobs dann abgebaut werden. Denn mehr als die höheren Kosten fiele der „flexible Personaleinsatz“ positiv ins Gewicht. Die Minijobber werden meist nur wenige Stunden am Tag oder bei Bedarf eingesetzt. Barbara Dribbusch/Tina Hüttl

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