Die Nerven mit neuem Album: Ventil im Stahlbad
Die Nerven behalten die Nerven. Denn die Stuttgarter Punkband haut auf ihrem neuen Album „Fun“ so intuitiv wie eh die Songs raus.
Politik? „Nö.“ Stimme einer Generation? „Wenn wir Massen bewegen, ist das großartig.“ Und sonst so? „Was wir machen, ist ziemlich nerdy.“
Die Nerven legen sich nicht fest, ihre Antworten formulieren sie vorsichtig. Schön, wenn man das so sehen kann, aber sagen würden wir es so nicht, heißt es dann. Seit ihrem Debütalbum „Fluidum“ (2012) gelten die Stuttgarter als politisch und trotzig.
Aber kommt diese Antihaltung wirklich in der Musik zum Ausdruck? Oder ist sie nur Wunsch von KritikerInnen, der Konturlosigkeit der Merkel-Regierungszeit endlich etwas Unversöhnliches, Junges entgegenzusetzen?
Tatsächlich gibt es im deutschsprachigen Pop ein Vakuum, eine Generation nach Tocotronic. Eine Sphäre, die Ja, Panik inzwischen verlassen haben, um zur Konsens-Band zu werden. Anwärter sind Bands wie Trümmer aus Hamburg, Messer aus Münster oder eben Die Nerven. Alle sind sie jung, reflektiert und gut erzogen. Man muss ganz genau hinhören, um die unterschiedlichen Soundansätze dieser Bands zu verstehen.
Spiel mit Zuschreibungen
Einigkeit besteht erst einmal über eines, sagt Max Rieger von den Nerven: „Uns verbindet der Grundgedanke von Punk: intuitiv Sachen raushauen.“ Und: Die Nerven kennen das Spiel mit den Zuschreibungen; die Problematik eines Begriffes wie Authentizität ist ihnen bewusst. Sie begegnen dem aber nicht mit Ironie und Inszenierung. Julian Knoth, neben Rieger Gründungsmitglied der Nerven, sagt: „Authentizität interessiert uns nicht, es geht darum, dass wir wir selbst sind.“
So denken Die Nerven beim Titel ihres zweiten Albums „Fun“ gar nicht an eine ironische Lesart. Von der 90er-Jahre-Spaßgesellschaft, die diesen Begriff gepachtet hatte, haben sie nie gehört. „Fun“ heißt für sie Spaß am Musikmachen. Erst dann kommt die Idee der Irritation, die durch die Kombination des Gesangs mit der eher düsteren Stimmung der Musik entsteht. Ihre Songs sind für Die Nerven – hallo, Punk! – erst mal eine Möglichkeit, mit Zorn umzugehen.
Im Gespräch bestehen sie auf den Übermut, pubertär zu sein: „Musik ist Ventil für unsere Wut. Wer damit nicht zurechtkommt, kann Thees Uhlmann hören. Der ist nämlich erwachsen“, sagt Rieger.
Eine Art Verzweiflungstat
Die Betonung des Selbst in den Texten der Band ist eine Art Verzweiflungstat: Die Generation, der die Nerven angehören, ist mit dem Gefühl der Machtlosigkeit groß geworden. Das Subjekt ist immer schon in den Diskurs der Macht eingeschrieben, der Klimawandel ist immer schon da gewesen, die NSA hat die Facebook-Posts von Anfang an gelesen. Und jetzt? Singt man Sätze wie: „Hauptsache, man lässt mich in Ruh‘“, oder „Das ist immer noch dein Leben / Auch wenn du selbst nichts mehr entscheidest“ oder „Versteckst du dich oder drehst du dich weg?“, offenbart sich Machtlosigkeit, Ausweglosigkeit, Alternativlosigkeit.
Wie war das mit dem „Fun“? Er bedeutet vielleicht: trotz allem Spaß haben. Solange man weitermacht, besteht immer die Möglichkeit, es anders zu machen. Dann klingt „In meinem Kopf wachsen Zeilen zu Girlanden / Ich bin noch nicht gescheitert / Ich veränder mich“ aus dem Schlussstück „Girlanden“ wie eine Drohung.
Dazu passt, dass sich die Band lieber in der Stuttgarter Szene verortet, als ehrgeizig auf den Thron der politischen Konsens-Band zu schielen. Schließlich würde das System ohnehin zurückschlagen und eine Reality-TV-Show aus diesem Wettstreit machen. Also bewahren die Nerven lieber ihren Stolz: „Und ja, es geht mir besser, als ich ausseh / Und nein, ich hab hier nichts verlorn.“
Leser*innenkommentare
repeater
Gast
alles mögliche geschwurbel, aber kein einziger satz über den grandiosen, schweissnassen sound der platte??
die nerven haun auf die kacke wie es sich gehört!
amps an, finger hoch, vollgas!
@90sTrottel.. lustig, deine numerolologien..
Christian - TAZ Popblog
Gast
Ohne Frage sind Die Nerven nicht nur die beste Punkband, sondern auch die beste "neue" Band des Landes überhaupt.
Aber Ja, Panik angesichts ihres neues Albums vorzuwerfen, sie wären zur Konsensband geworden und hätten keine Haltung mehr, das ist, gelinde gesagt, lächerlich.
Textlich ist "Libertatia" im Gegenteil ja eher ärger geworden.
Was sich da breit macht ist wirklich ein sehr befremdlicher Strukturkonservatismus, der offensichtlich Texte ignoriert und schlicht die Gleichung aufsetzt: Keine Bratz-Gitarren = keine Haltung.
Puh. Endet es da wirklich mit der Auffassungsgabe?
90`s Trottel
Gast
"Von der 90er-Jahre-Spaßgesellschaft, die diesen Begriff gepachtet hatte, haben sie nie gehört."
Warum bauen sie einen solch dämlich Satz in eine eigentlich recht gute Geschichte ein? Ich bin froh, eine Jugend vor 9/11, Facebook, NSA usw. gehabt zu haben. Und nein, uns ging es damals nicht um den Fun, sondern in erster Linie auch nur um Punk. Damit ist nicht Green Day oder Offspring gemeint, sondern Bands wie Fugazi, Van Pelt oder auch Tocotronic oder die Zitronen. Bands, die die Nerven sicher auch gerne mögen. Im übrigen gingen die 90`er Jahre etwas länger wie die restlichen. Diese endeten erst am 11.09.01, wir hatten also immerhin 11,9 Jahre Fun.