: Die Mär von der Familienshow
Samstags gehört der Papi mir – der schöne alte Gewerkschaftsslogan hätte den Sat.1-Strategen eigentlich schon zu denken geben müssen. „ran“ zur besten Sendezeit, 20.15 Uhr am Familienfernsehabend? Gegen das gut abgehangene Potpourri aus James Bond, ZDF-Krimis, Musikantenstadl und „Wetten, dass ...?“? Konnte nicht gut gehen, sollte nicht gut gehen – und ging auch nicht gut.
Dürre Zahlen sagen mehr als tausend Worte: „ran“-Durchschnitt der vorangegangen Bundesligasaison (Sendetermin 18.30 Uhr): Knapp fünf Millionen Zuschauer pro Folge. Aktuelle Saison: Erste Ausgabe – 2,22 Millionen. Zweite Ausgabe – 2,05 Millionen. Dritte Ausgabe – 1,68 Millionen. Vierte Ausgabe – 1,76 Millionen. Und dann war Schluss.
Dabei wollte Kirchs Free-TV-Chef Urs Rohner noch nach der zweiten Ausgabe am neuen 20.15 Uhr-Sendeplatz „nicht rütteln“ und gab sich „überzeugt davon“, dass der neue Termin „auf Dauer“ funktioniere. Doch dauern darf nichts mehr in der überhitzten Fernsehwelt: Nach dem dritten Quotentief drohten Sponsoren und Werbekunden – darunter Krombacher und die Hypovereinsbank – unverhohlen mit dem Absprung. Und auch der Deutsche Fußballbund (DFB) war vergrätzt, nachdem er zunächst die Kirch’sche Mär von der Familienshow „ran“ am Samstagabend gläubig geschluckt hatte.
Oder war alles nur Taktik, die nach hinten losging? Denn bei Kirch steht schließlich auch Premiere World auf dem Spiel, wo jedes Bundesligamatch live zu haben ist, dies aber offenbar viel zu wenig Fans sehen wollen, sodass der Medienkaufmann auf seinen horrenden Kosten für die Fußballrechte sitzen bleibt. Der Plan war also denkbar einfach: Je später zusammengefasster Fußball frei empfangbar läuft, umso mehr wandern ins Reich des Pay-TV.
Denn Kirchs Premiere-Partner Rupert Murdoch hatte es doch vorgemacht: Die britische Liga läuft auf seinen Abokanälen Sky Sports One bis Three. Von „zeitnaher“ Zusammenfassung im Free-TV kann keine Rede sein, und deshalb ist Murdochs Bezahlfernsehen BSkyB auch eines der profitabelsten der Welt.
Doch die zeitliche Nähe scheint ein Grundbedürfnis deutscher Ballsportfreunde zu sein. Und niemand hat das schöner formuliert als das Medieninstitut „Rheingold“ aus Köln: „Die bundesdeutschen Fußballfans können ihre Wünsche nach Erregungs-Komprimierung und -verarbeitung nicht bis 20.15 Uhr aufschieben. (...)“
Weiter heißt es: „Sie geraten während der Dramatik des Spieltages in einen vehementen Prozess des Mitfieberns und Mitleidens. (...) Sie befinden sich nach den Spielen in einem Zustand hochgradiger emotionaler Aufgewühltheit. (...) Die Rezeption von ‚ran‘ unmittelbar nach Spielende beruhigte so bislang die Erregungskurve der Fans und ermöglichte es ihnen, sich wieder gelassener anderen Themen oder Aufgaben zuzuwenden. Die Verschiebung des Sendeplatzes zwingt viele Fans jetzt dazu, andere Wege der Erregungsverarbeitung zu suchen.“
Apropos: Dem Verkauf von Premiere-World-Abos hat die Verlegung von „ran“ nicht genützt. Gerade mal dreißigtausend TV-Saisontickets mehr konnten seit Anfang August abgesetzt werden. STG
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