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„Die Liste stört den Instinkt“

Die Schnäppchenjagdsaison ist eröffnet: Ab kommenden Montag darf zwei Wochen lang hemmungslos reduziert werden  ■ Von Heike Dierbach

„Als Profi würde ich mich noch nicht bezeichnen. Eher obere Amateurklasse.“Sebastian Schnoy aus Eppendorf ist bekennender Schnäppchenjäger. „Das ist für mich halb Hobby, halb ökonomische Notwendigkeit“, erläutert der 27jährige Musiker. „Seit ich von zu Hause ausgezogen bin, bin ich ständig in den Miesen.“Für Sebastian und Tausende gleichgesinnter HamburgerInnen naht die Hochsaison: Am Montag beginnt bundesweit die „Sonderveranstaltung zum beschleunigten Warenabsatz“, Rufname Sommerschlußverkauf.

Wer sonderveranstalten darf, ist gesetzlich genau festgelegt: Nur Textilien, Lederwaren, Bekleidung, Schuhe und Sportartikel dürfen verramscht werden. „Bis 1986 gehörten auch Porzellanartikel zur Saisonware“, erinnert sich Otto Kiehl, Sachverständiger für Wettbewerbsrecht bei der Handelskammer. Heute werden Teller und Tassen offenbar auch zwei Sommer lang benutzt.

In der Innenstadt wimmelte es schon in dieser Woche von Sonderangeboten. „Außerhalb der festgelegten Wochen im Juli und Januar dürfen die Händler eigentlich nur 15 Prozent ihrer Waren reduzieren“, ermahnt Kiehl, „aber das läßt sich manchmal schwer überprüfen.“Schwarze Schafe bekommen eine Abmahnung von der Handelskammer. Die meisten allerdings halten sich an die Spielregeln, wissend, daß die Konkurrenz von nebenan kontrolliert.

Ab Montag darf zwei Wochen lang ohne Hemmungen reduziert werden. Manche Geschäfte kaufen sogar extra für den Schlußverkauf ein. Nur verschenken darf niemand seine Ware. Ebenfalls verboten sind seit 1987 Vergleiche zwischen altem und neuem Preis. Das lag an den sogenannten „Mondpreisen“, erklärt Kiehl. „Oft wurde den Kunden mit überhöhten alten Preisen ein Schnäppchen suggeriert, das gar keins war.“Sebastian kann das nicht passieren. Er bewahrt sein „realistisches Bewußtsein für Preise. Sonst kauft man 30 Wäscheklammern als Sonderangebot für 2,99, und die gibt's woanders regulär für 1,99!“

Nicht auszudenken für den Profi. Was aber, wenn sich nach dem Kauf herausstellt, daß neben dem Preis auch die Qualität herabgesetzt war? „Bei fehlerhafter Ware, die nicht als solche gekennzeichnet ist, hat der Kunde immer ein Rückgaberecht“, informiert Otto Kiehl. „Die pauschalen Hinweise ,Vom Umtausch ausgeschlossen' gelten in solchen Fällen nicht.“

Auch unter den SchnäppchenjägerInnen soll es zuweilen Streit um die fettesten Brocken geben. Hans Andersson, Geschäftsführer von Hennes & Mauritz, beruhigt: „Es ist genügend da.“Bis zu 80 Prozent will H&M reduzieren. „Der Großteil des Verkaufs läuft allerdings immer in der ersten Woche“, meint Andersson. „Wenn dann noch viel da ist, senken wir nochmal die Preise.“Weggeschmissen wird nichts, wenn der Preis stimmt, kaufen die Leute. Auch Sebastian. „Eine Grundregel beim Beutemachen lautet: Nicht kaufen, was man braucht, sondern was gerade billig ist“, bestätigt er. Eine Einkaufsliste „stört nur den Instinkt“.

Befristete Arbeitsplätze schafft die kurz entfachte Kauflust nicht: „Die Umsatzsteigerung von 30 Prozent bewältigen unsere Stammverkäufer“, sagt Andersson, „bloß Urlaub nehmen kann keiner.“Auch die Einzelhändler hoffen auf steigende Kauflust, nachdem der Umsatz im ersten Halbjahr 97 eher flau war. „Bei uns stürmen die Leute zwar nicht gerade zum Schlußverkauf“, meint Heidrun Meyer, die bei „Naturschön“in der Ottenser Hauptstraße ökologische Mode verkauft, „aber es kommen Kunden, die sich umweltbewußte Mode sonst nicht leisten können.“

Von der Geschäftswelt gänzlich unbeachtet feierte der Schlußverkauf vor zwei Jahren seinen 60. Geburtstag. Eine Verfügung des Reichswirtschaftsministeriums erlaubte 1935 zum ersten Mal das freie Reduzieren. Heute sind es nicht nur KundInnen mit schmalem Geldbeutel, die sich auf die Pirsch begeben. „Das geht quer durch alle Schichten“, weiß Kiehl, „vielen ist es einfach ein inneres Bedürfnis.“Außerhalb des Schlußverkaufs bekommen die HändlerInnen allerdings ein verändertes Konsumverhalten zu spüren. „Die Situation ist seit Ende 92 schwierig“, sagt Ulf Kalkmann vom Hamburger Einzelhandelsverband. Sparen ist in. Viele KundInnen shoppen da lieber in den immer zahlreicher werdenden Discount-Läden, die an allen Tagen Schlußverkaufspreise haben.

Auch Sebastian hält das ganze Jahr die Augen nach Sonderangeboten offen und tauscht mit FreundInnen Tips aus. Sein größter Fang? Bettwäsche von Aldi – für nur 13 Mark. „Davon habe ich für meine Freundin auch gleich ein Paket mitgebracht,“schwärmt der Musiker. Wahre Liebe fragt eben nicht nach dem Preis.

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