■ Die Liberalen wollen so gern „Steuersenkungspartei“ sein: Starkes Pokern, schwache FDP
Weihnachten steht bald vor der Tür, doch die FDP erinnert an Ostern. Am 18. Oktober wurde ihre Parteispitze als die „Betrüger von Bonn“ ans Kreuz genagelt. Schon drei Wochen später scheint sie – wenn auch an Krücken – wiederauferstanden. Wie es aussieht, wird sie, statt zur Hölle zu fahren, noch himmlische Freuden erleben. Die Voraussetzung: Sie muß erreichen, was Riesenstaatsmann Möllemann durch seine Stänkerei vorerst verhindert hat: daß der Solidaritätszuschlag 1998 um zwei Prozent gesenkt wird.
Vor drei Wochen noch war die FDP auf dem Tiefpunkt. Die Glaubwürdigkeit der Umfallerpartei schien dahin, nachdem sie einwilligte, die Absenkung des Solidaritätszuschlags für 1997 zu verschieben. Doch siehe da. Zwar sichtlich angeschlagen, doch beharrlich predigten Gerhard, Westerwelle, Solms: Die Absenkung wird lediglich um ein Jahr verschoben. Dann aber gleich um zwei statt um ein Prozent.
Was zunächst wie eine billige Ausflucht klang, nimmt konkrete Formen an. Die FDP hat in ihrem Überlebenskampf die zweiprozentige Senkung des Solizuschlags zur Koalitionsfrage gemacht. Die Union, die der FDP viel abverlangt hat, wird sich kaum dem Begehren ihres Koalitionspartners verschließen, da sie auch Steuersenkungspartei sein will. Zwar wurde die Entscheidung auf Mitte Dezember verschoben, doch das ist wohl nur Taktik. Denn wenn sich die Union nicht lächerlich machen wollte, konnte sie sich dem Möllemannschen Erpressungsversuch – die FDP stimmt dem Jahressteuergesetz 97 nur zu, wenn der Solizuschlag um zwei Prozent gesenkt wird – unmöglich zum jetzigen Zeitpunkt beugen. Erst muß Gras über Möllemanns Äußerungen wachsen.
Hätte die FDP bei der Erhöhung der Mineralölsteuer mitgemacht – der Ruf als Steuersenkungspartei wäre ruiniert. Wenn aber der Solizuschlag 1998 tatsächlich um zwei Prozent gesenkt wird, gegen den für alle erkennbaren Widerstand der Union, dann hätte die FDP Kredit als starker Koalitionspartner gewonnen. Doch das Theater der letzten Tage und Wochen hat gezeigt, wie schwach die FDP ist. Wenn sie mehr zu bieten hätte, als eine Steuersenkungspartei sein zu wollen, die nicht einmal eigene Vorschläge für die Kompensation der Steuerausfälle macht, wäre es nicht zur Überlebensfrage und damit auch nicht zur Koalitionskrise gekommen. So aber entsteht wieder mal der Eindruck, daß Politik in erster Linie mit strategischen Machtspielchen zu tun hat. Markus Franz
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