: Die Lehrer gehen aus
„Balance zwischen Einstellungschancen und Kapazitäten“: Behörde kürzt Zahl der Referendarsplätze. Ausbilder warnen vor Mangel an Pädagogen
von SANDRA WILSDORF
Lehrer sind reif für die rote Liste gefährdeter Arten: Allein in Hamburg gehen bis zum Jahr 2010 etwa die Hälfte der heute rund 14.000 Pädagogen in Pension. Um den Nachwuchs steht es schlecht: Selbst wenn aus jedem studierten Lehrämtler ein Referendar würde, wäre in einigen Fächern der Bedarf nicht zu decken. Aber es kommt noch schlimmer: Bildungsenator Rudolf Lange (FDP) will die Ausbildungskapazität am Studienseminar bis 2004 um 33,6 Prozent verringern. Statt momentan 1220 soll das Seminar nur noch 810 Plätze haben.
Diese dramatische Kürzung kommt zu einem großen Teil dadurch zustande, dass die Behörde das Referendariat von 24 auf 18 Monate verkürzt. Das spart, zumal die eigentlich als verbindlich gedachte anschließende Begleitung während der Berufseingangsphase nun doch nur freiwillig sein soll. Sie wird momentan nur von etwa der Hälfte der Junglehrer in Anspruch genommen – was auch daran liegen mag, dass sie volle Stundenzahl unterrichten müssen. Eigentlich sollten sie entlastet werden. „Das ist keine Reform, sondern eine Sparmaßnahme“, sagt Hans-Peter de Lorent, Studienseminarleiter und Ex-Bürgerschaftsabgeordneter für die GAL.
Hintergrund der Kürzung ist aber auch, dass Sonderprogramme nicht fortgeschrieben werden. Denn die jetzige Zahl von 1220 kommt nur dadurch zustande, dass Rot-Grün die ursprünglichen 990 Plätze in den Jahren 2000 und 2001 jeweils um 45 aufgestockt hatte. Kurz vor der Bürgerschaftswahl gab es dann noch eine Einstellungsoffensive von 90 Referendaren und im Februar diesen Jahres ein 50 Stellen umfassendes Junglehrerprogramm – schon unter dem neuen Senat.
Doch mit Offensiven ist jetzt Schluss: Zum 1. Februar 2003 werden nur 60 Referendare für Grund-, Haupt-, und Realschullehramt und 90 für Berufsschulen eingestellt. Von den Sonderpädagogen und Gymnasiallehrern bekommt niemand eine Stelle. Schulbehördensprecher Hendrik Lange rechtfertigt die Kürzung mit einer notwendigen Balance „zwischen Einstellungschancen und Kapazitäten“. Denn erstens sei Hamburg als Standort auch für Pädagogen aus anderen Bundesländern attraktiv, „und außerdem steigen die Schülerzahlen nicht so stark wie lange erwartet“.
Birgit Zeidler, Direktorin des Studienseminars, sieht das anders: „Die Gesellschaft muss wissen, dass wir in ein großes Lehrer-Loch steuern.“ Mit den Ausbildungskapazitäten soll auch die Zahl der Seminarleiter reduziert werden, insgesamt 40 Prozent des Ausbildungspersonals. Die meisten der betroffenen Pädagogen werden wohl wieder an die Schulen gehen – was Zeidler aber als das kleinere Problem ansieht: „Uns geht es in erster Linie um die Kinder, die ein Anrecht auf vernünftige Bildung haben.“
Die Seminarleiter haben deshalb eine Resolution verabschiedet, in der sie die „rigorosen Sparmaßnahmen für kurzsichtig und kontraproduktiv“ erklären und an die politischen Entscheidungsträger appellieren, die „eingeleiteten Reformen der Hamburger Lehrerausbildung und die zukünftige Versorgung der Schulen mit Nachwuchslehrern nicht durch eine kurzfristige Haushaltssanierung in Frage zu stellen.“
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