DIE EU MUSS SICH REGELN FÜR KÜNFTIGE VOLKSABSTIMMUNGEN GEBEN: Die Lehre von Temelín
Gegner von Volksabstimmungen begründen ihre Ablehnung oft mit der Debatte um die Todesstrafe. Denn Umfragen zeigen: Fragte man die BürgerInnen in Deutschland, ob diese wiedereingeführt werden soll, fände dieser Vorschlag leicht eine Mehrheit. Jetzt jedoch zeigt sich in Österreich, dass das grundsätzliche Problem von Volksabstimmungen nicht allein populistische Themen sind, sondern auch Streitfragen, die mehrere Staaten betreffen.
Aktuelles Beispiel: Temelín. Die FPÖ sammelt derzeit Stimmen gegen den südböhmischen Schrottreaktor. Jenseits aller innenpolitischen Hintergedanken der Haider-Leute müsste dies von Grünen und Atomkraftgegnern eigentlich begrüßt werden. Zumal sich die österreichische Regierung bei den Verhandlungen über bessere Sicherheitsmaßnahmen von den Tschechen ganz schön austricksen ließ – und das unter Vermittlung der EU.
Dennoch: Diese Befragung des Volkes darf keinen Erfolg haben. Sie würde das seit langem angespannte Verhältnis der beiden Nachbarsstaaten auf kaum absehbare Weise belasten. Als Reaktion könnten sich zudem die Tschechen ihrerseits in einer Volksabstimmung für das Atomkraftwerk aussprechen. Und welches Volk hat dann eigentlich mehr Recht?
Die Europäische Union hat für solche Fälle bisher keine Regeln, und das wird schon bald bei einer ganz anderen Frage zum Problem werden. Bis ins Jahr 2004 muss eine Entscheidung über die zukünftige Verfassung der EU fallen, in vielen Staaten sind Referenden bei Vertragsänderungen vorgeschrieben, angesichts der Bedeutung des Themas könnte es sogar zu einem EU-weiten Referendum kommen.
Nur: Welches Kriterium ist dann für eine Annahme der neuen Verfassung entscheidend – die Mehrheit der Staaten oder die Mehrheit der Bürger? Und was passiert, wenn die Dänen gegen die Direktwahl eines EU-Kommissionspräsidenten sind, der Rest aber dafür? Man kann zwar den Euro ablehnen, aber nicht die grundlegenden Prinzipien der EU. Die Europäer müssen also in den nächsten Monaten nicht nur über ihre zukünftige Form debattieren, sondern auch darüber, wie sie über diese Form entscheiden dürfen.
Und noch etwas zeigt das Temelín-Referendum. Über Fragen, die BürgerInnen mehrerer Staaten betreffen, muss eine grenzübergreifende Diskussion geführt werden. Dafür gibt es seit Jahrzehnten Euroregionen. Jetzt müssen sie sich mit mehr als nur grenzübergreifenden Radwegen beschäftigen.
SABINE HERRE
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