: Die Lautstärkereglerin
Premiere von „Jimmy, Traumgeschöpf“ im Brauhauskeller des Bremer Theaters: Wer nicht mehr vorgelassen wird, erlebt statt Träumen eine klar strukturierte Angelegenheit
Die Karten für Vorstellungen im Brauhauskeller muss man sich im Schauspielhaus holen. Für regelmäßige TheaterbesucherInnen wahrscheinlich nichts Neues, Verhängnis für die neu-Bremer Rezensentin: „Wir rennen jetzt mal ein bisschen“, spricht einen die Kartenabreißerin, zu der man gerade zurückkehren wollte, von hinten an. „Sie habe ich nämlich ganz vergessen“. Vorsichtig knarzt man die Brauhauskellertreppe hinab, denn die Vorstellung hat schon begonnen. Die Inspizientin aber ist ein harter Brocken. „Nein“, formen ihre Lippen, der Holzfußboden sei viel zu laut. Die Panik vor einer lautstarken Diskussion steht ihr ins Gesicht geschrieben, und außerdem muss sie auch noch „Achtung“ und „Jetzt“ flüstern, wenn das Licht auf der Bühne sich ändern oder Musik erklingen soll. Die komplexe Situation erfordert eine Kompromisslösung: Die Rezensentin darf sich zu ihr, dem Ton- und dem Lichttechniker gesellen und, ohne einen Pieps von sich zu geben, auf einem Monitor das Bühnengeschehen verfolgen. Aus Inspizientinnensicht ist das weniger schlimm, als die Störenfriedin über die knarzende Holztreppe wieder wegzujagen.
Auf dem Bildschirm läuft mittlerweile ein unscharfer Jimmy (Siegfried W. Maschek) umher, Traumschöpfung eines schlafenden Generals. Seine Stimme kommt aus einem Lautsprecher rechts überm Tontechnikerkopf, und manchmal kann man durch einen Spalt im Bühnenvorhang einen kurzen Blick auf sein Hinterteil erhaschen.
Jimmy hat Probleme mit dem Kuss eines Geliebten, weil der ihn träumende General zum Kusszeitpunkt verstorben ist, und Jimmy nun ganz ohne Fortsetzung seines Liebeslebens dasteht. Er kämpft sich fortan durch das reine Chaos, durch verschiedene Körper und bizarre Begegnungen hindurch.
Hinter dem Vorhang, in der Welt der Inspizientin, ist dagegen alles klar strukturiert, die Zeit in Licht-An und Musik-Aus aufgegliedert. Trotzdem können ihre und Jimmies Welt ohne einander nicht sein, sie schafft die Voraussetzungen, und einmal kommen sie sich auch ganz nahe: Jimmy spricht zum Publikum übers Geträumt werden und übers Träumer sein, als plötzlich sein Mikrofon mit einem Pfeifen übersteuert. Inszenierung oder lautstarker Wirklichkeitseinbruch? – wenn man nicht das leise „Jetzt“ der Inspizientin gehört hätte, hätte man sich da nie sicher sein können.
Und das Stück selbst? Maschek gab einen etwas zu abgeklärten, souveränen Jimmy, der aber in der wunderbaren Tunnelbühne (Monika Rupprecht) hin und wieder zu Momenten fand, deren Magie auch die Videoaufzeichnung überdauern konnte. Lene Wagner
Nächste Vorstellungen: 4.,5.,11.,13.10.
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