■ Die Kurdische Arbeiterpartei PKK nimmt den Journalisten und Schriftsteller Günter Wallraff unter Beschuß. Der habe ein Interview mit PKK-Chef Abdullah Öcalan so manipuliert, daß Öcalan besonders böswillig erscheint. Wallraff widerspricht: „Öcalan hat sich mehrfach mit Jesus verglichen“
taz: Die PKK scheint mit Ihrer Auswertung Ihres Treffens mit Abdullah Öcalan nicht ganz zufrieden zu sein. Der iranisch-kurdische Schriftsteller Ali Ghasi, der sich als Sprecher von Öcalan in der Bundesrepublik versteht, sagt: „Alles, was Günter Wallraff sagt, ist erstunken und erlogen.“
Günter Wallraff: Ali Ghasi wird das wohl in der Erregung so herausgerutscht sein, allerdings wieder besseres Wissen. Weil er genau weiß, daß die Kernsätze nicht nur so gesagt wurden, wie sie veröffentlicht worden sind, sondern Öcalan immer wieder noch viel Schlimmeres von sich gibt. Abdullah Öcalan hat zum Beispiel über seine eigenen kurdischen Landsleute auch gesagt – und da zitiere ich aus einem der PKK-eigenen Mitteilungsblätter: „Ihr seid äußerst verkommen, ärmlich und zu nichts anderem in der Lage, als euch erschießen zu lassen.“ Das kann man alles nachlesen, alles von der PKK autorisiert.
Aber ich muß Ali Ghasi insofern auch etwas in Schutz nehmen, als daß er immerhin diese Reise zu Öcalan ermöglicht hat und jetzt unter enormen Druck steht. Er verspricht sich von seinen Initiativen, die immerhin auch humanitärer Art sind und auf den Einstieg in Friedensverhandlungen abzielen, daß die PKK irgendwann wieder gesellschaftsfähig werden kann. Irgendwer hat ihn mal den „Schafspelz der PKK“ genannt, man könnte ihn auch den Anstandswauwau dieser Organisation nennen. Er versucht langfristig so eine Art ständiger diplomatischer Vertreter der PKK in Deutschland zu werden, von daher ist sein Entscheidungsspielraum sehr eingeschränkt.
Die in Çürükkayas PKK-Buch abgedruckten Fassungen Ihres Interviews mit Öcalan vermitteln den Eindruck eines zusammenhängenden Gesprächs. Ihnen wird jedoch vorgeworfen, daß es sich um eine – nicht als solche gekennzeichnete – Gesprächsmontage handelt.
Im Vortext des Gesprächs steht ausdrücklich, daß es sich um „Auszüge“ handelt, die „im Zusammenhang mit Çürükkayas Buch wichtig sind“, und nur ein Teil des Gesprächs im Beisein der PKK- Kämpfer stattfand. Und was heißt schon Montage? Die Zitate sind wortwörtlich in dem Zusammenhang gesagt worden. Nur: Er hat viel mehr gesagt. Er hat über Gott und die Welt geredet. Was ich gebracht habe, waren die Äußerungen, die einen Bezug zu Çürükkayas Buch hatten. Es gab ein Vorgespräch, ein Tischgespräch und dann das Gespräch vor seinen Kämpfern. Der Großteil der Öcalan-Aussagen wird übrigens überhaupt nicht bestritten, auch nicht vom Kölner Kurdistan-Informationsbüro, das mir die Vorwürfe macht. Aber als Öcalan zum Abschied, als er uns zum Wagen brachte, die Aufhebung des Mordbefehls gegen Çürükkaya wiederaufhob mit der Formulierung, er könne nichts dafür, „wenn ein Unfall passiert“, war niemand vom Kurdistan-Informationsbüro anwesend. Da war Ali Ghasi dabei, der jedoch etliche Schritte beiseite stand und der, selbst wenn er es gehört hätte, das nie zugeben könnte, weil das seiner Mission enorm schadet. Aber der Übersetzer Helmut Oberdiek kann den Satz bezeugen. Er hat ihn eindeutig gehört und noch im Wagen thematisiert.
Ein Satz ist unbestritten gesagt worden: Çürükkaya habe sich „an unseren heiligsten Werten vergangen“. Doch der Satz soll nicht von Öcalan stammen, wie es in dem Interview steht, sondern von dem PKK-Mitglied Sakine Cansiz.
Öcalan hat das an einer anderen Stelle sinngemäß auch so gesagt. So wird ihm hier in keiner Weise irgendwas unterstellt, was nicht seine Meinung ist. An dieser einen Stelle gibt es tatsächlich eine kleine Zuordnung aus einem anderen Zusammenhang, aber inhaltlich ist es das gleiche.
Das Kölner Kurdistan-Informationsbüro hat bei anderen Passagen des Interviews Übersetzungen vorgelegt, die inhaltlich von Ihrer Version stark abweichen. Beispielsweise zitieren Sie Öcalan mit den Worten: „Meine Art und Weise ähnelt dem heiligen Christus.“ In der Version des Kurdistan-Informationsbüros heißt es: „Günter, du sagst, ich bin Jesus verbunden. Die ihn leben, findest du hier.“
Wortwörtlich hat er es so gesagt, wie es in meinem Interview-Text geschrieben steht. Dafür hat sich Helmut Oberdiek sogar mit einer eidesstattlichen Erklärung verbürgt. Diese andere Übersetzung ist schludrig, schlampig und sehr verstümmelt. Da sind Fetzen aus dem Zusammenhang gerissen worden. Öcalan hat sich bei unserem Treffen sogar mehrfach mit Jesus verglichen.
Öcalan hat Sie am Ende Ihres Treffens mit ihm zu weiteren Gesprächen eingeladen. Steht die Einladung immer noch?
Ich glaube kaum, weil ich mich halt nicht wohl verhalten haben und mich nicht instrumentalisieren ließ. Die Aufforderung, ihn zu „analysieren“, das ist so einer seiner Standardbegriffe, habe ich wohl anders vorgenommen, als er das gewohnt war. Von daher würde ich zwar das Gespräch fortsetzen, aber ich glaube kaum, daß das gegenwärtig möglich ist.
Was versprechen Sie sich überhaupt von Treffen mit Öcalan?
Ich bin zu Öcalan gereist mit dem erklärten Ziel, den Mordbefehl gegen Çürükkaya aufzuheben. Ich werde ihm solange zusetzen, bis die Morddrohung vom Tisch ist!
Ihre bisherigen Bemühungen waren nicht von großem Erfolg gekrönt. Die Kritik an Ihnen aus PKK-Kreisen geht deutlich über den Vorwurf der Textmanipulation hinaus. Sie würden gemeinsame Sache mit dem türkischen Staat machen ...
Die PKK hat sich das Treffen natürlich anders vorgestellt. Deswegen wird nun versucht, mich zu verleumden. Dabei wissen sie, daß ich über keinerlei Beziehungen, weder offiziell noch inoffiziell, zum türkischen Staat verfüge. Aber jemand, der, wie Öcalan selber, fremdbestimmt als eine Art Agent des syrischen Staates fungiert, der kann sich unter Umständen nur vorstellen, daß jemand ein Risiko auf sich nimmt, wenn es von woanders her beauftragt ist. Sie kommen sonst mit dem eigenen Weltbild nicht mehr zurecht. Widerwärtig wird es allerdings, wie sie gleichzeitig weiter auch Selim Çürükkaya verleumden – wider besseres Wissen.
Was genau wirft ihm die PKK vor?
Da wird behauptet, er sei ein Kronzeuge, er hätte hier, mit Pässen, Geld und Gesichtskosmetik von deutschen Behörden ausgestattet, eine neue Identität angenommen. Das wird ihm in Mitteilungsblättern angehängt und damit dieser Mordbefehl weiter aufrechterhalten. Das ist verbrecherisch und ein Vorgehen, das die gesamte Politik der PKK diskreditiert. Genau das Gegenteil war der Fall: Selim Çürükkaya und seine Frau haben sich geweigert, hier in Prozessen auszusagen und wurden daraufhin beide in Beugehaft genommen. Selim wurde dann polizeilich vorgeführt in einem Verfahren in Hamburg und sah sich im Gerichtssaal plötzlich einer Anzahl von Kurden gegenüber, die dort als Zuschauer waren. Er hat zur Sache nichts gesagt, sondern eine Grundsatzerklärung abgegeben und prozessual nicht zum Erfolg beigetragen. Während der Verhandlung wurde er gefragt, ob er Personen im Gerichtssaal erkenne. Obwohl er etliche erkannte, auch solche, die Verbrechen begangen hatten, hat er keinen identifiziert.
Wie geht es Çürükkaya jetzt?
Er kann sich nicht frei bewegen. Er kann nicht mal einkaufen gehen. Wenn man seiner habhaft würde, drohte ihm jederzeit die Ermordung.
Das von Ihnen protegierte Buch Çürükkayas veranschaulicht drastisch den Despotismus Öcalans. Doch die Rolle des Autoren selbst, der ja nicht nur ein kleiner Mitläufer war, sondern PKK-Gründungsmitglied und hoher Funktionär, bleibt dabei merkwürdig verschwommen. Wenn es um ihn selber geht, beweist Çürükkaya Mut zur Lücke – oder verheddert sich in Widersprüche ?
Ich habe den Eindruck, daß er noch unter Schock steht, daß er die elf Jahre in türkischen Gefängnissen noch nicht überwunden hat, aber auch nicht die Zeit danach im Ausbildungslager und im Hauptquartier des großen Führers. Er lebt seitdem fast durchgehend in Isolation. Es ist ungerecht, aus einer sicheren Existenz heraus einem alles auf einmal abzuverlangen. Ich kann darüber nicht richten.
Die Bedeutung des Buches liegt vor allem darin, daß es das erste Mal ist, daß jemand überhaupt an dieses Tabu rührt. Ich bekomme Zuschriften, es finden Gespräche statt, auch mit Linken und in der Solidaritätsarbeit Engagierten, die jetzt mehr hinterfragen und sagen: Das wußten wir alles nicht. Insgesamt bleibt jedoch das Problem, daß im breiteren Rahmen nicht über das Buch diskutiert wird. Es wird ausgeklammert, das Tabu PKK-Kritik bleibt weitgehend bestehen.
Verwundert Sie das ernsthaft? Daß die PKK in ihren Methoden nicht zimperlich ist, ist lange schon bekannt. Doch das wurde innerhalb weiter Teile der Linken hingenommen, weil irgendwie der „nationale Befreiungskampf“ der Kurden gegen ihre Unterdrücker scheinbar alles rechtfertigt.
Das war eine ähnliche Situation zu Zeiten Pol Pots. Obwohl es kein Geheimnis war und auch innerhalb der Linken bekannt, daß Hunderttausende – man weiß jetzt, es waren zwei Millionen – Menschen abgeschlachtet wurden, gab es innerhalb der Linken so gut wie keine öffentliche Kritik. Hier in einem kleineren Sinne – Öcalan ist ja noch nicht an der Macht – hat man anscheinend nichts daraus gelernt. Das ist das Beängstigende. Da herrscht eine Stupidität, herrschen Denkverbote, und man ist in einem ideologisierten dogmatischen Klischeedenken verfangen.
Neben einigen linken Solidaritätsgruppen engagiert sich auch der CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer für Öcalan. Wie erklären Sie sich diese Allianz?
Da kommen zum Teil Koalitionen zustande, die einen erschaudern lassen. Aber wenn man es dann zu Ende denkt, gibt es vielleicht sogar eine gewisse Folgerichtigkeit. Wenn man sieht, daß auch der Lummer seit jeher ein erklärter Nationalist ist – da können sich unter Umständen zwei finden, sich in bestimmten Ressentiments wiedererkennen und irgendwo eine Seelenverwandtschaft entdecken. Wenn da dieser deutschtümelnde Nationalist und dieser kurdischen Nationalistenführer sich mit völkischen Ressentiments begegnen, dann kann einen schon eine Gänsehaut überziehen. Wenn Öcalan davon spricht, kurdische Menschen hätten die Bundesrepublik „verschmutzt“, und es hätte sich „berechtigterweise“ Rassismus dagegen breitgemacht, dann hätte das Lummer nicht besser formulieren können.
Sie stehen seit einigen Monaten unter Polizeischutz.
Ja, eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ich sehe meine Bedrohung nicht so akut, wie die von Selim Çürükkaya. Bei mir würde es der PKK eher schaden. Deswegen gehe ich auch nicht davon aus, daß die Drohungen ihren Ursprung bei Öcalan selber haben.
In einigen Medien hieß es, die Drohungen gegen Sie seien fiktiv. Sie wollten sich damit nur ins Gespräch bringen.
Die Bunte hat behauptet, ich würde damit für mein Buch die Werbetrommel rühren. Sie wußten nicht mal, daß es um das Buch von Selim Çürükkaya ging. Da gibt es halt immer welche, die unterstellen ihre eigenen miesen Motive einem selbst. In der Sache habe ich nun wirklich von mir völlig abstrahiert, um einem Kollegen Aufmerksamkeit zu verschaffen, um ein Buch über das sonst keiner sprechen würde, in die Diskussion zu bringen. Ich habe das ohne einen Pfennig Honorarbeteiligung gemacht. Ich habe die Übersetzung vorfinanziert und habe zwei Jahre einen Verlag gesucht, der das Risiko eingehen wollte, das Buch zu veröffentlichen. Als dann Drohungen eingingen und die Polizei kam und sagte, von einem Anschlag müsse ausgegangen werden, habe ich das nicht an die große Glocke gehängt. Es gab über mich nicht autorisierte, überzogene Meldungen, die ich relativiert habe. Ich habe immer klargestellt: Es geht hier nicht um meine Gefährdung, es geht um Selim Çürükkaya. Solche Vorwürfe gegen mich sind also durchschaubare Geschichten. In der Süddeutschen Zeitung ist mir vorgeworfen worden, ich würde einen – wörtlich – „Kreuzzug“ durch die Talkshows starten. Ich war in einer einzigen.
Was bedeutet Ihre scharfe Kritik an der PKK für Ihren Einsatz für eine Friedensperspektive in den kurdischen Gebieten der Türkei?
Ungeachtet der ganzen Diffamierungs- und Verleumdungsversuche dieser PKK-Politsektenfunktionäre, bemühe ich mich weiterhin um eine Friedensvermittlung, weil man Öcalan an diesem Punkt ernst nehmen muß. Da streckt er seine Hand aus und macht auch ohne die Forderung nach Vorleistungen Angebote, gefangene Soldaten, gefangene Dorfschützer freizulassen. Nur da stellt sich die türkische Regierung absolut stur. Die würden lieber ihre eigenen Leute verrecken lassen, als sich auf eine Verhandlung einzulassen. Hier muß die türkische Regierung weiter und verstärkt unter Druck gesetzt werden. Und was die Bundesrepublik betrifft: Ich bin weiterhin für die Aufhebung des PKK-Verbotes. Denn eine Partei, die legal wird, kann auch ganz anders in die öffentliche Diskussion einbezogen werden. Im Hinblick auf eine langfristige Demokratisierung der PKK wäre es förderlich, sie wieder zuzulassen. Interview: Pascal Beucker
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