Die Kuratoren der 5. Berlin Biennale: "Transparenz als sozialer Gedanke"

Bei der 5. Berlin Biennale gibt es immer eine besondere Veranstaltung. Ihre Dramaturgie der Aufmerksamkeit von Kunst für die Tage und Nächte erläutern die Kuratoren Elena Filipovic und Adam Szymczyk.

taz: Erschöpft von den vielen Biennalen, Triennalen, Sieben- und Zehnjahres-Ausstellungen 2007, fragt man sich, ob eine originelle Ausstellung überhaupt noch vorstellbar ist?

Elena Filipovic: Ausstellungen gibt es bereits seit Jahrhunderten und es gelingt ihnen doch immer wieder, außerordentlich attraktiv zu sein, wenigstens einigen. Das hat natürlich mit der Auswahl der Künstler und dem Charakter ihrer Arbeiten zu tun. Unabhängig von der Verpackung gibt es einen Inhalt, der immer noch das Potenzial hat, das Publikum auf eine andere Weise anzusprechen als die Ausstellungen, die Sie erwähnt haben.

Mit einer Ausstellung der 98-jährigen Designerin Janette Laverrière und der Künstlerin Nairy Baghramian wird heute im Schinkel-Pavillon Unter den Linden die 5. Berlin Biennale voreröffnet. Offizieller Beginn der bb5 ist der 5. April. Dann überraschen die Kuratoren Adam Szymczyk und Elena Filipovic nicht allein mit Ausstellungen am ehemaligen Mauerstreifen und in der Neuen Nationalgalerie, sondern auch mit einem elaborierten Nachtprogramm. Adam Szymczyk, Jahrgang 1970, war 1997 Mitbegründer der einflussreichen Foksal-Galerie in Warschau und leitet heute die Kunsthalle Basel. Die 1972 geborene Kunsthistorikerin Elena Filipovic arbeitet als Autorin und Kritikerin. Derzeit bereitet sie in São Paulo eine Duchamp-Ausstellung vor.

Sie haben die Zahl der Künstler im Vergleich zu den vorhergehenden Biennalen reduziert, wieso?

Adam Szymczyk: Wir haben die Zahl der Künstler nicht reduziert und das Format der Biennale sogar erweitert.

Filipovic: Wir haben sie reduziert und auch nicht.

Das müssen Sie erklären.

Szymczyk: Im Tagesprogramm sind rund 50 Künstler und damit weniger als auf der letzten Biennale vertreten. Aber: Die 63 Nachtveranstaltungen bestreiten mehr als 80 Künstler, Intellektuelle, Autoren und Produzenten, mit verschiedensten Projekten - und damit sind insgesamt mehr Leute dabei. Genug, um ein großes Publikum für zweieinhalb Monate zu beschäftigen. Wir wollten, dass die nachfolgenden Abende genauso betriebsam sind wie die Eröffnungsnacht. Daher auch der Titel: "Meine Nächte sind schöner als eure Tage".

Nach welchen Kriterien wurden die Künstler der einen oder anderen Schiene zugeordnet?

Filipovic: Es hing ein wenig von ihren Vorlieben ab. Manche nehmen an beiden Programmen teil. Die Idee zum nächtlichen Teil der Ausstellung kam uns im Gespräch mit den Künstlern, deren Projekte nicht in den normalen Ausstellungsraum oder den zeitlichen Ausstellungsrahmen passten. Oder es handelte sich um Konzepte, die am Rande ihrer Arbeit für das Ausstellungsprojekt entstanden waren: Treffen mit Wissenschaftlern oder Gespräche mit anderen Leuten außerhalb der Kunstwelt zum Beispiel. Es gibt aber auch Künstler mit performativen Ansätzen, die nur im nächtlichen Teil der Ausstellung vorkommen.

Man hat auch den Eindruck, dass an den Abenden sehr viel mit Film gearbeitet wird. Es gibt zum Beispiel Filme aus dem Archiv der ungarischen Béla Bálazs Studios, eine Diskussion über Zeichensprache im sowjetischen Film, dann einen Abend zu Voodoo in den Filmen von Maya Deren und Jean Rouch …

Filipovic: Es gibt eine Reihe solcher Abende, sie sind aber nicht in der Mehrheit. Viele dieser Abende sind von Künstlern kuratiert oder die Künstler machen die Einführung. Die Debatten sind wichtiger als die gezeigten Filme. Außerdem gibt es Musikabende, Performances, eine Untergrund-Tour …

Szymczyk: Tanz, einen TV-Abend etc.

Filipovic: Am 9. April gibt es im Einkaufszentrum Alexa am Alexanderplatz eine Performance der finnischen Künstlerin Pilvi Takala. Sie wird eine durchsichtige Tüte mit 1.000 Euro in bar mit sich herumtragen. Man muss sie mitten unter den Leuten suchen. Sie hat diese Performance schon einmal gemacht und es gab sehr lebhafte Reaktionen unter den Passanten, die nicht wussten, dass es sich um eine Kunstaktion handelte. Denn es ist eine ungeschriebene Regel, dass man nicht mit 1.000 Euro in der Tasche sichtbar herum läuft.

Szymczyk: Es gibt eine Reihe solcher ambivalenter Performances.

Filipovic: Zum Beispiel am 6. April von Ahmet Ögüt, einem türkischen Künstler, der auch tagsüber in den Kunst-Werken mit einer Arbeit vertreten ist. Für das Nachtprogramm reinszeniert er eine Szene, die er in Istanbul beobachtet hat, als der Strom ausfiel. Er sah ein Motorrad, dessen Scheinwerfer von der dunklen Straße in ein Schaufenster leuchteten. Er kam näher und sah, dass es ein Friseur war, der auf diese schlaue Weise seine Arbeit fortsetzte …

Wie sind Sie zu den verschiedenen Orten gekommen, an denen Sie die Ausstellung präsentieren? Hatten Sie eine ideale Liste von Künstlern und suchten nach den passenden Orten?

Szymczyk: Es stimmt, beim Nachtprogramm sind wir von den Belangen der Künstlern ausgegangen und haben die passenden Orte für ihr spezielles Projekt gesucht. Bei der Ausstellung am Tag verhält es sich andersherum. Dort haben wir erst die Ausstellungsorte gesucht und dann begonnen, an dem Programm zu arbeiten.

Diese Orte sind sehr konträr: Der Skulpturenpark Berlin_Zentrum liegt eher am Rand, selbst viele Berliner waren dort noch nie.

Szymczyk: Er existiert aber, ich war erst heute dort.

… und die Neue Nationalgalerie sitzt natürlich sehr prominent in der Mitte. Ging es Ihnen um einen Zusammenstoß der Atmosphären?

Szymczyk: In der Mitte? Ich dachte sie läge im Westen. Sie haben auch viel gemeinsam.

Was denn?

Filipovic: Auf den ersten Blick sind sie natürlich sehr verschieden. Aber eines der Merkmale des Mies-van-der-Rohe-Baus ist die Transparenz. Die Mauern sind aus Glas, als gäbe es gar keine Grenzen zwischen Innen und Außen. Potenziell ist es ein endloser Ausstellungsraum, und die Außenanlage des Skulpturenpark Berlin_Zentrum ist genau die Umsetzung davon. Das sind kleinere, subtilere Verbindungen, die uns interessiert haben, trotz der offensichtlichen Gegensätze.

Dann müssen Sie die Neue Nationalgalerie komplett offen halten.

Szymczyk: Das tun wir. Wir werden ein oder zwei von Mies entworfene Wände für Gemälde benutzen. Aber wir zeigen ohnehin nicht viel Malerei.

Wirklich? Wir finden ja, das die Halle von Mies als Ausstellungsraum ein kompletter Irrtum ist. Haben Sie damit nicht zwei Ausstellungsräume, die keine sind?

Szymczyk: Nun ja, die Idee der Transparenz existiert ja auch als sozialer Gedanke seit dem 19. Jahrhundert und er wurde wörtlich genommen von der Bewegung, die das kommunistische Regime Ende des letzten Jahrhunderts zu Fall brachte. Perestroika, Glasnost. Die Glasnostbewegung führte irgendwann zum Fall der Berliner Mauer, die das Gegenteil von allem verkörperte, was man mit Transparenz verbindet. Sie stand für Teilung und Undurchsichtigkeit. Man versuchte das mit Aussichtsplattformen zu unterlaufen. Auch das Axel-Springer-Haus, das so nah an der Mauer gebaut wurde, dass es weithin zu sehen war, wollte ein Symbol der freien Presse bis in den Osten hinein sein. All das schwingt mit, im Feld von Transparenz und Sichtbarkeit in Berlin. Die Neue Nationalgalerie von 1968 ist selbst eine Aussage in diesem Kontext. Sie wendet sich gegen den geschlossenen Bau der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel.

Wie passt der Schinkel-Pavillon dazu? Ist er dann der traditionellste Ausstellungsraum, wo er immerhin Wände hat?

Filipovic: Ja, aber er war ehemals eine Banketthalle, ein Achteck, er öffnet sich mit großen Fenstern auf eine Art Terrasse und besteht aus einer merkwürdigen Mischung von neoklassizistischer Außenhaut und modernistischem DDR-Innendesign. Er heißt ja bloß Schinkel-Pavillon, hat aber bis auf ein paar Teile, die aus der Bauakademie stammen, nichts mit Schinkel zu tun. Er entstand 1969 und gehörte zum Kronprinzenpalais als dem eigentlichen Ausstellungsgebäude. Diese komplexe Geschichte hat uns sehr interessiert. Wir werden dort fünf verschiedene Ausstellungen von Künstlern zeigen, die das Werk von fünf älteren Künstlern kuratieren werden, die für sie wichtig sind.

Gibt es einen besonderen Grund für diese Ausstellungseröffnung zwei Wochen vor der eigentlichen Biennale-Eröffnung?

Szymczyk: Alle Erwartungen richten sich natürlich auf die Eröffnung der Biennale und die ersten Tage danach. Diese Erwartungen wollten wir ein wenig unterlaufen, indem wir im Schinkel-Pavillon früher eröffnen und die letzte Ausstellung zehn Tage nach der offiziellen Biennale enden lassen. Wir versuchen die üblichen Zeitstrukturen etwas zu verflüssigen.

Auf der Berlin Biennale kuratieren sehr viele Künstler Ausstellungen und Vorträge und Diskussionen. Wollen Sie damit die Rolle des Kurators zur Diskussion stellen?

Filipovic: Uns interessierte vielmehr die historisch weit zurückreichende Geschichte des Künstlers als Ausstellungsmacher. Sie wollten wir wieder ins Bewusstsein rufen. Und die Tatsache, dass es Künstler waren, die viele der ganz wichtigen Ausstellungen kuratiert haben, mit denen einmal Neuland erschlossen wurde. Der Kurator ist in der Kunst eine noch relativ junge Erscheinung. Microsoft-Word zeigt beim Begriff Kurator immer einen Fehler an. Gibt es die Profession überhaupt, wenn sie Microsoft nicht kennt?

Wie haben Sie und die Künstler sich über die verschiedenen Aufgaben verständigt? Gab es mehr Kommunikationsbedarf als sonst üblich?

Filipovic: Zunächst einmal waren alle Künstler, die jetzt im Schinkel-Pavillon eine Ausstellung organisieren, als Teilnehmer auf die Biennale eingeladen. Sie entwarfen für die Biennale neue Arbeiten und Projekte und in der Diskussion darüber stellte sich dann heraus, dass sie sich gerne auf andere Künstler beriefen, die sie beeinflusst hatten. Dadurch kamen wir auf die Idee, zu sagen, zeigt doch diese anderen Künstler, die euch interessieren. Wir hatten den Ausstellungsraum, aber alle anderen Parameter bestimmten die Künstler selbst, die Auswahl der Arbeiten, das Design und das Ausstellungsdisplay. Im Fall der 1971 in Isfahan geborenen Künstlerin Nairy Baghramian, die in der ersten Pavillon-Ausstellung die 96-jährige Schweizer Designerin Janette Laverrière vorstellt, haben die beiden das Ausstellungsdesign gemeinsam entwickelt.

Die Auguststraße als Ausstellungsachse der letzten Biennale veranlasste viele Besucher, diese lineare Abfolge gewissermaßen als Kapitelfolge eines Romans zu interpretieren. Sie agieren nun an vier weit entfernten Orten. Möchten Sie eine solche Lesart verhindern?

Szymczyk: Natürlich ergab die Straße unwillkürlich eine Art von Erzählung. Aber Erzählungen können ganz unterschiedliche Formen haben. Unsere ist sicher nicht episch. Wir plädieren für die Kurzgeschichte, das Fragment.

Bei Ihrer Biennale muss man nun über zweieinhalb Monate lang am Ball bleiben, weil die Ausstellung erst über die ganze Dauer der Zeit sichtbar wird. Macht sie - um mit Karl Valentin zu sprechen - nicht zu viel Arbeit?

Filipovic: Ich denke, es ist nicht falsch, wenn die Leute ein wenig arbeiten. Aber es war keinesfalls unsere Absicht, die Biennale undurchschaubar und opak zu machen. Sie will nicht befremden. Wir strebten im Gegenteil eine größere Offenheit an. Üblicherweise finden bei großen Ausstellungen nur am Anfang besondere Events statt. Wir wollten nun, dass jeder Besucher, wann immer er oder sie nach Berlin kommt, an einer besonderen Veranstaltung teilnehmen kann, dass die Biennale immer noch in vollem Gange ist.

INTERVIEW: HENRIKE THOMSEN & BRIGITTE WERNEBURG

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.