: Die Kriminalistik als Wissenschaft
Kriminalistik bezeichnet die Wissenschaft von der Verbrechensaufdeckung, Kriminologie ist die Wissenschaft vom Verbrechen selbst.
Die Anfänge der Kriminalistik werden deutschen Strafrechtlern zugeordnet. Franz von Liszt (1851 – 1919) gründete 1882 an der Universität Marburg das Kriminalistische Seminar. Er war der Erste, der eine akademische Ausbildung für die Kriminalpraktiker, also die in Berlin, Hamburg und Bremen schon etablierte Kriminalpolizei, forderte und begründete.
Hans Groß (1847 – 1915), ebenfalls Strafrechtler an der Universität Prag, bezeichnete die „strafrechtlichen Hilfswissenschaften“ als Kriminalisitk und gründete sie damit als wissenschaftliche Disziplin. Sein „Handbuch für Untersuchungsrichter“ aus dem Jahre 1883, in viele Sprachen übersetzt, gilt bis heute als Standardwerk.
Den ersten Lehrauftrag für Kriminalistik bekam 1920 in Berlin Hans Schneikert (1876 – 1944), ein Berliner Kripomann. Sein Spezialgebiet war die Kriminalpsychologie.
Als eigenständiges Fach überlebte die Kriminalistik von da an nur an der Berliner Humboldt-Universität. Hier wurde sie 1994 als DDR-Institution abgewickelt. In der BRD beschränkte sich die Ausbildung in der Kriminalistik auf die Polizeifach(hoch)schulen. Theoretisch-wissenschaftlich interessierte Kriminalisten arbeiten seither vor allem beim Bundeskriminalamt.
Der BKA-Fahnder Carl-Ernst Brisach hat 1992 problematisiert, dass die rein intuitive Lösung von Fällen unter den Bedingungen massenmedial kommunizierter Arbeitsweisen von Institutionen in Misskredit gerät: Das nichtstrukturierte Fallbearbeiten, wie es on the job erlernt wird, verliert „im Zeitalter des objektiven Sachbeweises in dem Maße an Reputation, in dem es, ohne wissenschaftliche Grundlagen betrieben, als rein subjektivistisch abqualifiziert wird“.
Brisach, der die Kriminalistik an die Geisteswissenschaften inklusive Psychologie anbindet, meint, ein Detektiv gehe zunächst einmal wie ein Kunstsachverständiger vor: Wie der Kunstkenner Maler an Nebensächlichkeiten eines Werkes identifiziere, etwa wie Ohrläppchen und Fingerspitzen gemalt seien, so müsse der gute Detektiv eine Tat auch lesen und interpretieren wie ein Kunstwerk. Hierbei seien unwillkürliche Gesten, unbewusst zurückgelassene Spuren wichtiger als „einstudierte Posen“.
Diesem Ansatz entsprechen die unter anderem von dem Soziologen Ulrich Oevermann schon in den Achtzigerjahren gemachten Vorschläge, eine Tat zu „lesen“ wie einen Text – weshalb die Methoden der Sprachwissenschaften mit ihrem feinen Sensorium für Verdecktes zu nutzen sinnvoll sei. Nur wenn eine einzelne Tat so sorgfältig analysiert werde wie etwa ein Gedicht, sei es zu rechtfertigen, Zusammenhänge zwischen nicht nur der Tat und einem möglichenTäter, sondern auch zwischen verschiedenen Taten herzustellen.
Literatur zum Weiterlesen: Rolf Ackermann, Horst Clages, Holger Roll: Handbuch der Kriminalistik für Praxis und Ausbildung, Boorberg Verlag, Stuttgart 2000, 560 Seiten, 84 Mark; Wilhelm Dietl: Die BKA-Story, Droemer Knaur, München 2000, 319 Seiten, 39,90 Mark; Stephan Harbort: Das Hannibalsyndrom. Phänomen Serienmord, Militzke Verlag, Leipzig 2001, 352 Seiten, 39,90 Mark
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