: Die Kraft der zwei Rhythmen
Kanaka-Monologe auf mehreren Quadratmetern Deutschland: Fünf deutschtürkische Schauspielerinnen haben am Maxim Gorki Theater Feridun Zaimoglus provokante „Koppstoff“-Protokolle als Theaterstück auf die Bühne gebracht
Eine Art Talkshow, in der fünf schwarzhaarige Frauen durcheinander reden. Das Thema: Deutschland, irgendwie. Der Unterschied, rein äußerlich: Alle in der Runde sind Deutschtürkinnen, die sich über die abwesende Dominanzgesellschaft auslassen. Und wenn sich auch aus dem Durcheinander der Stimmen und den oft kryptischen Aussagen keine Einhelligkeit heraushören lässt, die Szene auf der Bühne des Maxim Gorki Theaters spricht, in Umkehrung des üblichen Talkshow-Anblicks, als Bild bereits Bände über den gewohnten Migrantendiskurs.
Über türkische Frauen und Mädchen gibt es allerhand vermeintliche Gewissheiten: etwa die, dass sie, bewacht von misstrauischen Brüdern, den Mund nicht recht aufzumachen vermögen, um sich gegen Zumutungen zu wehren. Auch nicht ganz frei von solchen Vorstellungen war der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, als er 1995 mit seinem Buchdebüt „Kanak Sprak“ die so blumigen wie unverblümten Gesellschaftskommentare junger Deutschtürken in eine verfremdete Kunstsprache transkribiert und damit erstmals für Aufsehen gesorgt hatte. Dass sich seine Auswahl auf männliche Beiträge beschränkte, dazu hieß es auf dem Klappentext seines Buches damals so schlicht wie lapidar: An die Frauen sei das Herankommen eben nicht so leicht gewesen.
Das war eine Schutzbehauptung, die dem Autor viel Kritik eingebracht und für die er sich oft entschuldigt hat. Zum Ausgleich ließ er drei Jahre später das Buch „Koppstoff“ folgen, das Protokolle seiner Gespräche mit jungen Türkinnen enthielt, wobei sich die Schwestern nach der Übersetzung in kunstgerechte „Kanaka Sprak“ nicht weniger wütend und sprachgewaltig zeigten als ihre Brüder zuvor.
In „Koppstoff“ kamen Studentinnen, Putzfrauen und Frauenhausbetreuerinnen zu Wort, die mal über deutsche Männer, migrationsbewegte Linksliberale und Kommando-Feministinnen, mal über deutsche Grübelgier und Ethno-Fixierung herzogen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
Am Maxim Gorki Theater hat man diese Kanaka-Monologe nun zum Bühnenstoff gekehrt und dafür eine ganze Riege von Schauspielerinnen mit türkischem Hintergrund engagiert, wohl weil man sich davon eine größere Unmittelbarkeit in der Umsetzung versprach: Fünf Schauspielerinnen, darunter Idil Üner, aus Spielfilmen von Fatih Akin und Thomas Arslan bekannt, oder Sengül Boral, die als Sängerin demnächst mit einer eigenen Platte deutschsprachigen HipHop-Souls aufwarten wird, agieren auf der Bühne kämpferisch im rotweißen, sportiven „Koppstoff“-Dress, die Handballtrikots nachempfunden scheinen. Bis auf die Rapperin allerdings, die einem als toughe Streetfighterin entgegentritt, sind die ursprünglichen Personen aus dem Buch, die Pate standen, kaum mehr eindeutig zu erkennen, die Figuren in ihren Facetten aufgelöst. Zwei DJs am Plattenteller unterlegen die Theaterfassung von „Koppstoff“ mit einer steten Rhythmusspur, die dem erhöhten Pulsschlag der Aufführung folgt.
Natürlich hätte man die Texte auch von anderen Aktricen sprechen lassen können, schließlich sind es Rollen wie jede andere auch. Dass es ausnahmslos Türkinnen sind, macht die Sache nun zwar nicht authentischer, hat ihr aber wohl genützt, denn das fünfköpfige Frauenensemble hat in seine Interpretation der durchaus komplexen Texte noch ein paar Zwischentöne eingebaut. Das Polemische der Buchvorlage blieb erhalten, aber unter die aggressive Anklage nach allen Seiten mischen sich auch Momente der Verletzlichkeit und Unsicherheit, was die Darbietung vor falscher Eindeutigkeit bewahrt. Das verleiht mancher Figur eine interessante Widersprüchlichkeit, wie auch in der ironischen Interpretation mancher Textstellen eine innere Distanzierung aufscheint.
DANIEL BAX
Heute und morgen ab 20 Uhr im Studio des Maxim Gorki Theaters, Am Festungsgraben 2, Mitte
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