: Die Kleine Wortkunde [prefixe]
Präfixe sind nützlich und vielseitig verwendbar. Nehmen wir das Wischi-Waschi-Verb „machen“ und setzen die Silbe „auf“ davor, so können wir sogleich ein Fass aufmachen. Auch das Präfix ver- zeigt vielseitige Verwendungsmöglichkeiten: Im Gegensatz zu zer-, dessen negative Konnotation offensichtlich ist, verweist ver- lediglich auf einen Prozess.Zum Beispiel ist der taz-Leser ver-stört bei der Lektüre einer ganzseitigen Anzeige der Bild-Zeitung, aber noch ver-traut er seiner taz, die Bande der Zuneigung sind noch nicht zer-rissen. Im Fall von ver- gilt, etwas wandelt sich, um sich schließlich zu ver-wandeln. Aber bitte Vorsicht: Normalerweise bleibt das Verb durch die Zufügung eines Präfix in seiner Bedeutung weiter sichtbar. Aber unter der Hand kann das Präfix ver- das Verb in ein gänzlich neues Bedeutungsfeld rücken. Nehmen wir das Verb „äußern“. Die taz äußert sich argumentationsstark gegen die Bild-Zeitung, aber sie kann nicht ver-äußert werden, insbesondere nicht an den Springer-Konzern. Darüber wacht die ver-einte Genossenschaft. Das Präfix ver- ist wichtig.
Wie fatal es sein kann, wenn es ver-sehentlich weggelassen wird, zeigt sich in dem allerdings gänzlich realitätsfernen Satz „die taz ist käuflich“. Durch das Suffix -lich wird damit eine Eigenschaft festgeschrieben. Eine lächer-liche Behauptung. Vielleicht könnte aber der Urheber des Käuf-lich-Satzes gemeint haben, dass die taz darauf angewiesen ist, im Anzeigengeschäft tätig zu sein, also Zeitungsraum zu ver-kaufen. Dieser Sachverhalt aber wäre auch nicht durch das Präfix ver- darzustellen, denn ver-käuflich ist die taz, wie oben gezeigt, eben nicht. Ver-käuflich wäre als Aussage nur sinnvoll, wenn es hieße, Anzeigen in der taz sind ver-käuflich, eine grammatikalisch korrekte, wenngleich sinnlose Feststellung. Denn auf den Inhalt kommt es an, ver-stehste? Christian Semler