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Archiv-Artikel

Die Kehrseite der Schnäppchenjägerei

Ilona Paschke, Geschäftsführerin der Titanic-Reisebüros, im Interview über die Verwirrstrategie der Billiganbieter und branchenfremde Konkurrenz

taz: Titanic wurde 1988 als unabhängiges Reisebüro gegründet. Was unterscheidet euch von anderen Reisebüros?

Ilona Paschke: Wir haben als Kollektiv begonnen, und die Gründungsmitglieder sind bis heute alle noch Gesellschafter. Viele Mitarbeiter arbeiten schon über zehn Jahre bei uns. Außerdem bilden wir auch kontinuierlich aus. Angefangen hat alles mit den Arbeitsbrigaden, die damals nach Nicaragua gingen; bis heute haben wir eine entsprechende Klientel, unser Schwerpunkt sind entwicklungspolitische Gruppen, viele unser Firmenkunden kommen aus diesem Bereich.

Schlägt sich eure Firmenphilosophie auch in einer besonderen Arbeitsatmosphäre nieder?

Ich glaube, dass unsere Mitarbeiter verinnerlicht haben, dass wir stets im Wohle des Kunden handeln. Eine Steuerung von oben nach dem Motto, bei diesem Reiseanbieter gibt es mehr Provision, das lässt sich bei unseren Mitarbeitern gar nicht durchsetzen. In größeren Ketten sieht das anders aus, da müssen sich die Mitarbeiter an strengere Vorgaben halten.

Kann man Ihrer Meinung nach sagen, dass das Reisebüro – angesichts der Billigflug- und Online-Konkurrenz – eine allmählich aussterbende Dienstleistungsspezies ist?

Ich denke, es ist in erster Linie eine Frage, ob der Markt diese Entwicklung tatsächlich verlangt oder ob es nicht vielmehr eine Strategie der Reiseveranstalter ist; zum Beispiel dadurch, dass man die Kunden vor eine unübersichtliche Preis- und Tarifstruktur setzt und sie damit so verwirrt, dass sie keinen richtigen Überblick mehr haben. Der Kunde hat in einem Reisebüro den Vorteil, dass er alle Angebote gleichzeitig bekommt, weil wir vergleichen können. Die Billigflugangebote, beispielsweise für 29 Euro, funktionieren in 80 Prozent der Fälle doch sowieso nicht, weil noch Gebühren dazu kommen. Das Entscheidende aber ist, dass wir neutral sind. Das vermeintliche „Geiz ist geil“-Prinzip, beim Urlaub unbedingt 10 Euro sparen zu wollen, ist meines Erachtens auch deshalb problematisch, weil gute Qualität und Tipps von Leuten, die Erfahrung haben, eben nicht ganz umsonst zu haben sind.

Könnt ihr denn preislich mit den Dumpingangeboten konkurrieren?

Wir vermitteln die Billigangebote doch auch – nur dass bei uns eine Gebühr von rund 10 Euro dazukommt, weil wir dem Kunden die Arbeit abnehmen. Der Kunde hat dafür aber auch einen Ansprechpartner, wenn etwas schief geht, und steht nicht alleine da bei Fahrplanänderungen oder Stornierungen. Außerdem fliegen die Billigairlines ja nur Ziele an, die in wenigen Stunden zu erreichen sind – Langstreckenflüge und Pauschalreisen sind im Internet in der Regel ja eben nicht günstiger als im Reisebüro. Zumal wir ein System haben, wo wir die individuellen Wünsche eingeben können und sehen, welches Reiseziel zu einem bestimmten Zeitpunkt am günstigsten ist.

Eine weitere Kehrseite der Schnäppchenjägerei ist, dass normale Firmen nun von Unternehmen, die Callcentern ähneln, ausgehungert werden.

Es stimmt: Wir haben jahrelang investiert – in die Technik, die Mitarbeiter und ihre Schulungen, und plötzlich bricht der Umsatz weg, mit der Folge, dass man Leute auf die Straße setzen muss. Wir haben durch unsere elf Filialen die günstige Situation, dass immer mal eine Frau schwanger ist oder ein anderer den Job freiwillig aufgibt, weil er die Stadt verlässt. Trotzdem haben wir heute nur noch rund 40 Mitarbeiter, wir hatten einmal 55; früher hatten wir bis zu zwölf Auszubildende, heute sind es noch drei.

Der Lebensmittel-Discounter Lidl hat vor einer Woche mit großem Erfolg billige Bahntickets verkauft. Was sagen Sie zu dieser neuen, branchenfremden Konkurrenz?

Wenn man sich überlegt, dass Ver.di die Behandlung der Lidl-Mitarbeiter kritisiert und die Bahn nun kurzfristig attraktive Angebote an dieses Unternehmen abgegeben hat, ist das schon eigenartig. Dass die Bahn spezielle Angebote macht, um Neukunden zu gewinnen, ist natürlich vernünftig, aber dann müsste man das über alle Vertriebskanäle machen, sodass jedes Reisebüro dazu Zugang hat. Am Ende hat sich die Aktion noch nicht einmal für die Bahn richtig gelohnt. Denn es gibt Kunden, die ihre vorher gekauften Tickets zurückgeben, weil das trotz der Stornogebühren immer noch billiger ist.

INTERVIEW: MARKUS WILD