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Die Hybris der Individualitätssucht

■ Benjamin Brittens „Peter Grimes“ in einer Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg am Staatstheater Oldenburg

Als Günther Rennert 1947 in Hamburg die erste Oper des damals 34-jährigen Benjamin Britten produzierte, waren seit der Londoner Uraufführung von „Peter Grimes“ zwei Jahre vergangen. Inzwischen hatte das Stück mehr von sich reden gemacht als irgendeine Oper nach Alban Bergs „Wozzeck“. Dieses Frühjahr wird es am Staatstheater Oldenburg inszeniert.

Die düstere Handlung nach einem 1830 entstandenen Gedicht des Priester-Dichters George Crabbe zeigt den Kampf eines Sonderlings in einem Fischerstädtchen an Englands Ostküste. Peter, der außerhalb des Gemeinswesens wohnt, hat nur zwei Freunde: die Lehrerin Ellen und den alten Kapitän Balstrode. Ein Waisenjunge, den er nach altenglischem Brauch dem Armenhaus abgekauft hat, kommt bei einem Sturm um, man macht Grimes verantwortlich.

In Oldenburg beginnt die Oper mit der darauf folgenden Gerichtsverhandlung, die der Regisseur Uwe Eric Laufenberg äußerst wirkungsvoll in den Zuschauerraum verlegt hat. Vom ersten Bild an entwirft Laufenberg eine brodelnde und bedrohliche Masse, mit der sich der sensible Peter zu Recht zu schlagen scheint. Zwar wird er mangels Beweisen freigesprochen, gleichzeitig hat er mit seiner Sucht nach Reichtum aber mehr unangenehme als angenehme Züge, so dass es für Laufenberg keine Parteinahme geben kann: „Seine Individualitätssucht ist Hybris. Genau deswegen, weil er sich vom Dorf der Fischer frei machen will, wird er abhängig. Die Tragik der Geschichte ist, dass das Dorf und er nicht mehr zusammen kommen können“, hatte Laufenberg im Interview gesagt. Diese Ambivalenz arbeitet er in dem geschickten, sehr realistischen Bühnenbild von Kaspar Glarner bewegend aus.

Sehr überzeugend sind die Chortableaus (Chor: Thomas Böhnisch), besonders die in ihrer Art trotz Bergs „Wozzeck“-Vorbild genialischen Schenkensszene mit der hysterischen Übersteigerung eines volkstümlichen Rundgesanges. Hier gelingt es Laufenberg, so etwas wie gefährliche Massenpsychose zu zeigen. Es hat Peter-Grimes-Darsteller gegeben, die auf Anweisung ihrer Regisseure eher dämonisiert wirkten, mit bleichem Gesicht, irrem Blick und wirrem Haar. Nicht so Frank van Aken, der bei Laufenberg eigentlich zunächst einmal ein behäbiger Durchschnittstyp ist, dann fassungslos und schließlich aggressiv und verzweifelt, ehe er zum Selbstmord gezwungen wird.

Während Paul Brady als Ned Keene, Joachim Siemann als Pas-tor, Gudrun Pelker als pralle Auntie und Bernard Lyon als Balstrode (der letzte, der noch zu Peter hält) differenziert und spannungsvoll ihre Rollen im Dorf übermittelten, verpasste Laufenberg der armen Marcia Parks als Lehrerin Ellen ein Outfit, das an Frauenfeindlichkeit grenzt. Hochgesteckte Frisur, Kos-tümchen, viel zu große Handtasche und ein Schleichgang, der nichts davon ahnen ließ, welche Persönlichkeit diese Frau ist, die Peter liebt.

Die wirkungsvolle Musik mit der plastischen Farbigkeit ihrer Seebilder, ihrer Prägnanz des Ausdrucks und der stets die Aufmerksamkeit haltenden Knappheit ihrer Formen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die frühe Musik von Britten schon eklektisch ist (was bei einem Musiker vom Range Brittens nicht unbedingt negativ ist): da gibt es Reminiszenzen an Mussorgski, an den späten Puccini. Alexander Rumpf erarbeitete mit dem Oldenburgischen Orchester eine suggestive Klanglichkeit, stechende Bläserakzente, aparte Instrumentationsmixturen und führte die Aufführung zusammen mit Laufenberg zu einem bedeutenden Erfolg dieses nach wie vor lebendigen und aktuellen Stückes.

usl

Die nächsten Aufführungen: 14. und 24.3., 3., 14., 18., 25. und 27.4. 2002

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