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■ StandbildDie Herzblattkrise

„Pleiten, Pech und Herzblatt“, Freitag, 19.20 Uhr, ARD

Zu Beginn war vor allem das Produktionsteam begeistert. Als Hobby-Schriftstellerin Hera Lind vergangenen Herbst die „Herzblatt“-Moderation antrat, beherrschte sie das Ablesen des Hauptgewinns, den Hubschrauberrundflug, auf Anhieb. Während ihre Vorgänger Rudi Carell und Reinhard Fendrich schnoddrig herumkasperten und sich so gar nicht für die Struktur der Flirt- und Partnersuch-Sendung zu interessieren schienen, kam Hera gut sortiert daher und hatte umgehend Semantik und Syntax der Preiskärtchen im Griff. Das ist vielleicht einer der Gründe ihres Scheiterns. Denn der Zuschauer wurde den Verdacht nie los, daß sie die Sendung tatsächlich ernst nimmt.

In „Pleiten, Pech und Herzblatt“ wurden nun zum Beweis von Souveränität und Selbstironie noch einmal die schönsten Hänger und Verhaspler zusammengeschnitten. Fernsehen ist immer dann am schönsten, wenn's schiefgeht. Seht her, wir nehmen uns selbst nicht für voll. Alles nur gespielt. Das war bei „Herzblatt“ freilich von Anfang an die Abmachung. Alle wußten, daß die Veranstaltung getürkt ist. Die meisten Kandidaten leben in festen Beziehungen und haben nur geringes Interesse an einer TV-Partnerzulosung. Wichtig war die Performance des „so tun, als ob“. Die eine oder andere Kandidatin machte sich darin schließlich so gut, daß sie als Assistentin ins Team aufgenommen wurde. In dieser Mitmachparty wirkte Hera Lind von Anfang an wie eine Lehrerin, die verzweifelt die Codes ihrer Schüler zu knacken versucht.

Zur Moderation der schönsten „Herzblatt“-Versprecher trat Susi, die Off-Sprecherin mit der erotischsten Stimme des Vorabendprogramms, erstmals vor die Kamera. Gibt es da noch Innovationsmöglichkeiten? Vermutlich ist die Spielanordnung, Jungen und Mädchen zu zwangsoriginellen Handlungen auf eine Hühnerleiter zu setzen, Ende der 90er einfach durch. Modernisierung zwecklos.

Am Ende erweist sich die Besetzung mit einem Auslaufmodell wie Rudi Carell als Ideallösung. Das hätte man übrigens schon bei Walter Benjamin nachlesen können, der den wohl bekanntesten Kuppler in der Weltliteratur, den Mittler in Goethes „Wahlverwandtschaften“, schlicht als „verkniffenen Polterer“ bezeichnete. Hera Lind hätte man diesen Knick ihrer Erfolgsstory dann ersparen können. Harry Nutt

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