: Die Haut der Architektur
Körper, Häuser, Rechner: Bei der Fotokünstlerin Heidi Specker bekommen Fassaden ein Eigenleben.In der Galerie Barbara Thumm zeigt sie ihre am Computer bearbeiteten modernistischen Oberflächen
von MICHAEL KASISKE
Ihre Arbeiten funktionieren gegenläufig zum Bauen: Während Architekten ein Gebäude nach Entwürfen und Modellen realisieren, generiert die Künstlerin Heidi Specker am Computer aus dem Foto eines vorhandenen Hauses ein modellhaftes Bildobjekt. Entsprechend irritierend sind ihre beiden „Schnappschüsse“ in der Ausstellung bei Barbara Thumm. In „TB Inside I“ staffeln sich hinter schlierigen Scheiben mehrere Gebäude im Gegenlicht, in „TB Inside II“ erhält das Fassadenraster durch das gedämpfte Interieur eine unbestimmte Bedeutung.
Erst im dritten Bild, „TB Outside“, wird die losgelöste Ansicht des Hochhauses per Bildbearbeitung auf ihre plastische Struktur vereinfacht und vor einem künstlich wirkenden Himmel überhöht. Dabei setzt Specker mit ihrer TB-Gruppe einen scheinbar beiläufig abgelichteten Innenraum in ein spannend kalkuliertes Verhältnis zur äußeren Struktur des Körpers, der ihn umgibt: Immerhin handelt es sich hier um die prominenten, von Mies van der Rohe entworfenen Zwillingstürme am Lake Shore Drive in Chicago.
Wie ein Readymade präsentiert die 1962 geborene Künstlerin daneben ihre Wandskulptur „Chicago Metallic Intervention – Executive Grey“. Eine in den Galerieraum ragende Ecke wurde mit grauen, perforierten Platten verkleidet und bildet – abgerückt vom Boden und von der Decke – ein eigenständiges Raumelement. Die an Schalldämmtafeln erinnernde Verkleidung bricht durch ihre Sprödheit und Stoßempfindlichkeit mit den ansonsten absolut planen Tableaus.
Darüber hinaus grenzt sich die Skulptur als weißgrau schimmernder Bereich im Ausstellungsraum von den farbigen Fotos der TB-Gruppe ab. Beide Ensembles werden durch die Opposition abstrakt und gegenständlich, mikroskopisch und makroskopisch definiert.
„Die Struktur der Stadt dient als Metapher für andere Systeme“, erläutert Specker, „wobei mich die Parallelen zwischen dem Aufbau eines Körpers, eines Hauses, eines Rechners interessieren.“ Dafür steht insbesondere die Arbeit mit dem Titel „Kubismus“ aus dem Motivschatz der bei der Häuserverkleidung gebräuchlichen Betonstrukturen, die in unterschiedlichen Größenverhältnissen in ihren Arbeiten auftauchen. Das Bild eines Reliefs spielt mit der Vorstellung von „Kunst am Bau“ und ist in seiner Größenordnung schwer einschätzbar. Am Ende erzeugt Specker damit eine außerordentlich plastische Wirkung, die so überhaupt nicht zur glatten Bildoberfläche und der scharfkantigen Beschneidung des Bildraums passen will.
Anders als frühere Werkgruppen wie „Teilchentheorie“ oder „Haus der Fotografin“, in denen Specker Bilder wie Module behandelte und seriell einsetzte, sind die neuen Arbeiten für sich allein stehende Statements.
Auch die emotionale, fast alltägliche Erschließung des Raums ist eine Veränderung in Speckers Umgang mit Architektur. Dazu passt auch das Interesse für den Privatraum, das sich in „TB Inside I“ widerspiegelt: Es ist das Apartment der Architektin und Mies-van-der-Rohe-Schülerin Brigitte Peterhans, der Witwe des bekannten Bauhaus-Fotografen. Durch diese biografische Verschränkung erklärt sich auch, dass TB nichts anderes als Tante Brigitte heißt.
Bis 23. 2., Di.–Fr. 13–19, Sa. 13–18 Uhr, Galerie Barbara Thumm, Dircksenstr. 41
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen