■ Die Grünen antworten auf die Post-Magdeburg-Krise mit Geschlossenheit. Doch schwer tun sie sich mit der Frage, was sie wollen: Nachrichten vom kleineren Übel
„Regieren geht über studieren“, so hat Joschka Fischer sein Tagebuch über die ersten Versuche grüner Machtausübung in der hessischen Landesregierung 1985 genannt. Was in den 80er Jahren in der Partei noch heftig umstritten war, ist seit dem Desaster vom Dezember 1990, der Wahl, als die Grünen statt von Deutschland vom Wetter redeten und damit aus dem Bundestag flogen, glasklar: Die Grünen wollen nicht mehr studieren und opponieren, die Partei will regieren.
Wer daran noch Zweifel hatte, wurde am Sonntag in Bonn eines Besseren belehrt. Die Grünen wollen an die Macht, ihre Führungsleute, Funktionäre und Parteitagsdelegierten sind bereit, politische Kontroversen und persönliche Abneigungen diesem Ziel unterzuordnen und sich in einer bis dato nicht für möglich gehaltenen Geschlossenheit zu präsentieren – selbst wenn es darum geht, Fehler einzugestehen. Vor kurzem war das noch undenkbar, diesmal hat es geklappt. Die verschiedenen Strömungen haben der Versuchung widerstanden, das Debakel von Magdeburg dem anderen Lager in die Birkenstock-Schuhe zu schieben.
Die Grünen haben auf ihre Wähler gehört und die Notbremse gezogen. Es ist müßig, nun darüber zu reden, ob die Partei umgefallen ist, weil sie die Orientierungszahl fünf Mark für Benzin aus dem Programm genommen hat – fünf Mark für Benzin ist ja kein Selbstzweck, sondern sollte eine Botschaft vermitteln, die offensichtlich falsch angekommen war. Deshalb war es richtig, nach neuen Wegen zu suchen, die grüne Botschaft zu transportieren. Deshalb stellt sich die Frage auch anders: Wenn es bislang nur um die richtige oder falsche Verpackung ging – worin besteht dann eigentlich die Substanz?
Seit Magdeburg erzählen uns die Grünen, was sie alles nicht wollen: Sie wollen nicht die wenig Verdienenden bestrafen und Auto fahren zum Privileg der Reichen machen, sie wollen niemandem seinen wohlverdienten Urlaub vermiesen, jedeR soll nach Mallorca fliegen, so oft sie/er will, sie wollen überhaupt niemandem mehr Vorschriften machen, auch grüne Wähler sollen in den kommenden Wochen lustvoll Fußball schauen dürfen, und sie wollen auch nicht schuld sein, wenn in Bosnien der Krieg wieder ausbricht, und deshalb soll die Bundeswehr jetzt auch mit dem Segen der Grünen auf dem Balkan bleiben.
Das ist alles richtig, nichts davon sollte man den Grünen vorwerfen. Aber was wollen sie denn nun? Seit der Castor strahlt, haben die Grünen sich daran erinnert, daß sie ursprünglich mal als Anti-AKW- Partei gestartet sind. Angesichts dieses Geschenks der französischen Umweltministerin war die Parole in Bonn nun wie in alten Zeiten – Atomausstieg ist machbar, Frau Nachbar. Nur mit den Grünen in der Bundesregierung wird es zum sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie kommen.
Es ist ja verständlich, daß sich die Partei nach der Prügel, die sie seit Magdeburg in der Öffentlichkeit bekommen hat, auf den Castor stürzt wie ein Wüstenwanderer auf die nächste Oase. Aber Achtung, auch der Castor könnte eine Fata Morgana sein. Denn selbst der unbedarfteste Öko-Freak weiß heute, daß der Ausstieg aus der Atomenergie, selbst wenn ihn eine rot-grüne Regierung politisch will, ein jahrelanger juristischer Grabenkrieg mit zeitlich unbekanntem Ausgang sein wird. Es bringt nichts, nach den fünf Mark jetzt einen anderen Drachen steigen zu lassen, der auch nicht fliegen kann. Auch wenn der neuerliche Vertuschungsskandal um die Hanauer Plutoniumfabrik den Ausstiegsforderungen weiteren Auftrieb geben wird, die tatsächlichen Ausstiegsschritte werden kleinteilig, langwierig und zäh erkämpft sein.
Es gibt aber einen noch wichtigeren Grund, sich jetzt nicht allzusehr auf den Atomausstieg zu konzentrieren. Anders als Anfang der 80er Jahre ist auch innerhalb der Klientel und potentiellen Wählerschaft der Grünen heute die Angst vor der Arbeitslosigkeit und drohenden materiellen Verlusten weit größer als die Angst vor einem Atomunfall. Was die Grünen nach Magdeburg schmerzhaft lernen mußten, war ja gerade, daß auch ihre Klientel die Angst vor Wohlstandsverlusten mehr umtreibt als die Angst um die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen. Auch Postmaterialisten werden ganz schnell wieder zu Materialisten, wenn der eigene soziale Abstieg droht.
Das ist der Grund, warum die Grünen in der Defensive sind. In Bonn haben sie jetzt gezeigt, daß der Partei insgesamt das Dilemma in seinem ganzen Ausmaß mittlerweile klar geworden ist. Eine neue Botschaft ist aus dieser Erkenntnis noch nicht entstanden. Die Parole – Macht aus dem Machtwechsel einen Politikwechsel – wird auch durch das grüne Kurzprogramm nicht wirklich mit Inhalt gefüllt. Alles ist richtig, aber was davon in einer rot-grünen Regierung durchgesetzt werden kann, weiß kein Mensch.
Die Grünen, so war jetzt in Bonn zu hören, müssen nach dem Magdeburger Debakel erneut um Vertrauen werben. Dazu gehört, die Intelligenz derjenigen, die einen wählen sollen, nicht zu beleidigen. Man sollte jetzt nicht so tun, als sei eine ökologische Steuerreform, ursprünglich einmal gedacht, um eine weitere Vernichtung der Natur unattraktiv zu machen, eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Und auch das Dreiliterauto ist nicht das Ei des Kolumbus, sondern unter ökologischen Gesichtspunkten nichts anderes als ein kleineres Übel. Das ist denn auch die eigentliche Botschaft des grünen Länderrates in Bonn: Rot- Grün ist in Zeiten wachsender Armut, erodierender gesellschaftlicher Milieus und daraus resultierendem, rapide zunehmendem Rassismus und wachsender Attraktvität rechtsradikaler Parolen keine Option auf eine echte Alternative, sondern die mühsame Organisation des kleineren Übels.
Wenn man dennoch regieren will, muß man seinen WählerInnen das sagen. Erst dann kann man glaubwürdig vorzeigen, was dennoch geht. Das ist dann kein „Jahrhundertereignis“ mehr, keine Kulturrevolution und noch nicht einmal der Einstieg in den ökologischen Umbau der Gesellschaft. Es ist deshalb ein hohes Risiko für die grüne Partei selbst, weil sie bei Mitgliedern und Sympathisanten über Jahre ganz andere Erwartungen geweckt hat. Wenn es dann gelingt, trotz widriger Umstände einige positive Entwicklungen in Gang zu setzen und die eigenen Utopien dennoch nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen, kann aus einem halbleeren Glas auch ein halbvolles Glas werden. Jürgen Gottschlich
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