Die Grenze bei Rafah: Ausbau der Festung Ägypten
Die Grenze zwischen Gaza und Ägypten wird verstärkt. Kairo rüstet sich offenbar für einen Massenansturm im Falle einer Bodenoffensive in Rafah.
Mit der drohenden israelischen Bodenoffensive in Rafah rückt die politisch hochsensible Grenze zwischen Gaza und Ägypten in den Blick. Weit mehr als eine Million Menschen sind auf palästinensischer Seite in und um die Kleinstadt Rafah zusammengetrieben worden.
Ägypten baut derweil von der anderen Seite die Grenzzäune und -mauern immer weiter aus und lässt nur wenige Verwundete zur Behandlung in Krankenhäusern durch. Doch ob die Grenze einem Massenansturm standhalten würde, ist unklar.
Das unabhängige ägyptische Nachrichtenportal Mada Masr berichtet unter Berufung auf Augenzeugen auf beiden Seiten der Grenze, dass das Land stattdessen in den vergangenen Tagen eine Betonmauer mit Stacheldraht sowie eine Stahlbarriere weiter ausgebaut habe. Laut Berichten hat Kairo zudem 40 Panzer und Militärfahrzeuge in Richtung Grenze geschickt.
Schon im November hatte Kairo auf ägyptischer Seite eine Sandbarriere und zusätzliche Betonbarrieren errichtet. Sie sollen verhindern, dass von palästinensischer Seite aus Menschen in eine Pufferzone auf ägyptischer Seite gelangen. Das Regime in Kairo schließt es aus, die Grenze in großem Maßstab für Schutzsuchende zu öffnen. Grund dürfte in erster Linie sein, dass palästinensische Flüchtlinge in Ländern wie Jordanien oder dem Libanon seit Jahrzehnten eine erhebliche politische Kraft sind.
Als Israel den Sinai verließ
Die Grenze zwischen Gaza und Ägypten ist politisch sensibel, denn im Rahmen ihres Friedensvertrags von 1979, der die israelische Besatzung der ägyptischen Halbinsel Sinai beendete, einigten sich beide Länder auf eine Pufferzone namens Philadelphi-Korridor.
Dieser 14 Kilometer lange Streifen, der auf palästinensischer Seite liegt, erstreckt sich über das gesamte Grenzgebiet zwischen Gaza und Ägypten und sollte von israelischen Streitkräften kontrolliert und patrouilliert werden. Ägypten stimmte außerdem zu, die Sinai-Halbinsel teilweise zu demilitarisieren.
Israel kontrollierte den Philadelphi-Korridor bis 2005, als es sein Militär komplett aus dem besetzten Gazastreifen zurückzog und alle israelischen Siedlungen in dem Gebiet räumte. Ägypten und Israel einigten sich in diesem Zug auch auf neue Regeln. So durfte Ägypten 750 Soldaten und schwere Waffen zur Überwachung und Sicherung der ägyptischen Seite des Korridors in das Gebiet schicken. Zwei Jahre später übernahm die Hamas die vollständige Kontrolle im Gazastreifen, einschließlich des Grenzgebiets zu Ägypten.
Wohin im Fall einer Bodenoffensive?
Nun stellen zwei Entwicklungen das Sicherheitsarrangement erneut infrage: Zum einen hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu erklärt, den Philadelphia-Korridor wieder unter israelische Kontrolle bringen zu wollen. Das Gebiet „muss in unseren Händen sein“, sagte er. Ansonsten ließe sich die von Israel angestrebte Demilitarisierung des Gazastreifens nicht durchsetzen. Eine Rückeroberung des Korridors würde zwar nicht ägyptisches Staatsgebiet betreffen, doch wäre der Gazastreifen damit faktisch von Ägypten getrennt.
Zum anderen stellt sich die Frage, was passiert, sollte Israels Militär in den kommenden Wochen tatsächlich mit Bodentruppen in Rafah vorrücken. Zwar hat Netanjahu angedeutet, dass die Zivilist*innen aus Rafah in den nördlichen Gazastreifen fliehen könnten, wo es viele Gebiete gebe, die von der Armee geräumt worden seien. Allerdings geben Hilfsorganisationen zu bedenken, dass freie Flächen, auf denen jegliche Infrastruktur fehle, keine Option seien für die Unterbringung von Zehntausenden Menschen.
Nicht auszuschließen ist ein Massenansturm und möglicherweise ein Durchbrechen der hoch gesicherten Grenze zu Ägypten – ein Szenario, das Kairo unbedingt verhindern will. Laut Berichten vom Wochenende soll Kairo hinter den Kulissen sogar mit einer Aussetzung seines Friedensvertrags mit Israel gedroht haben, sollte Israels Militär in Rafah eindringen.
Offenbar in Reaktion auf die Berichte sagte Außenminister Samih Shukri am Montag allerdings: „Es gibt ein Friedensabkommen zwischen Ägypten und Israel, das seit 40 Jahren in Kraft ist und auch in Kraft bleiben wird.“ Der Friedensschluss von 1979 mit Israel war ein historischer Schritt, war Ägypten doch das erste arabische Land, das Israel offiziell anerkannte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken