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Die Götter des Chaos

■ Rock außer Rand und Band: Die beiden Ensembles U.S. Maple und The Flying Luttenbachers etablieren das Aberwitzige

Falsche Bescheidenheit ist nicht Mark Fischers Sache: Die Weltherrschaft darf es für das von ihm und seinem Ex-Partner Rob Syers angezettelte Chicagoer Kleinunternehmen Skin Graft schon sein. Der Grundstein für das ambitiöse Projekt wurde vor elf Jahren mit der Verfrachtung der Wirklichkeit in eine Welt von kauzigen, komischen Kreaturen gelegt, die vor allem eines verbindet: der gemeinsame Wille, einen Planeten zu verlassen, dessen unveränderbare Pole Arbeiten, Konsumieren, Reproduzieren und Sterben heißen.

Tauchten diese klugen Irrsinnigen zunächst nur in Comics auf, bevölkern seit 1991 auch musizierende Artgenossen aus Fleisch und Blut den Skin Graft-Komplex. Und wo immer die auf vielschichtige Weise miteinander vernetzten Akteure ihren Mummenschanz aufführen, setzen sie hinter jedes lärmend hervorgestoßene „Jetzt“ein fettes Ausrufezeichen. Beständig sind bei ihnen nur der Wechsel, die Interaktion und das Fehlen eines verbindlichen Regelwerks. Keine Frage: Im Skin Graft-Camp zehrt man vom Wissen um die einstige Frische des Punkrock, wenngleich der Begriff als Stilbezeichnung weitgehend ausgedient hat. Ablesen läßt sich das auch an der Musik der beiden Bands, die nun zum wiederholten Male über Hamburg hereinbrechen werden.

Da sind zunächst U.S. Maple, die mit gestauchtem Gesang, Schlagzeug und zwei Gitarren den Rock ins Stocken bringen. Obgleich das Quartett ständig über die eigenen Gliedmaßen zu stolpern scheint, verliert es doch nie die Balance. Al Johnson, früher bei Shorty in Lohn und Brot, winselt zudem mit derart gewundener Stimmröhre und verknoteten Eingeweiden, daß hinsichtlich der Bedeutung seines Tuns kein Zweifel herrscht: Hier geht es um die Etablierung des Aber-witzigen.

Ein Vorhaben, das U.S. Maples Mitreisende schließlich auf die Spitze treiben. Völlig zu Recht bezeichnen sich The Flying Luttenbachers (Foto), Entertainer von Beelzebubs Gnaden, als die „Gods Of Chaos“. Kaum rational zu erfassen, was das Trio um den Hansdampf in allen Gassen Weasel Walter mit Hilfe klassischen Rockwerkzeugs durch jeden Kubikzentimeter der nach Routine muffenden Luft jagt: klingende Exkremente von glasscherbenartiger Konsistenz, Krachsplitter aus dem zersprengten Korpus eines Death-Metal-Freejazz-Hybri-den. Und wenn unweigerlich der Moment kommt, in dem die Luttenbachers selber dem enthusiasmierten Publikum um die Ohren fliegen, ist die Übernahme der Weltherrschaft durch die Skin Graft-Phantasten wieder mal ein kleines bißchen näher gerückt.

Jan Möller

So, 8. Februar, Molotow, 21 Uhr

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