Die Gesellschaftskritik: Falsche Intimität
WAS SAGT UNS DAS? In einer französischen Polittalkshow verzichten sie jetzt gänzlich auf politische Inhalte
Vor den französischen Präsidentschaftswahlen überbieten sich die verschiedenen Sender mit möglichst originellen Konzepten. Eine Talkshow am Sonntagabend beim französischen Fernsehsender M6 versprach, die Begegnung mit dem hinter dem Politiker oder der Politikerin verborgenen Menschen ins Zentrum zu stellen. Geladen waren die Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy, Arnaud Montebourg, Bruno Le Maire und natürlich Marine Le Pen. Mit dem Titel „Une ambition intime“ wurde angetönt, zwischen der politischen Ambition und der Privatsphäre bestehe ein direkter Zusammenhang.
Nur: Ist es wichtig, dass der Konservative Bruno Le Maire vor dem Schlafengehen deutsche Gedichte liest, dass Montebourg, der Gründer der Linkspartei, von Arien der Operndiva Maria Callas zu Tränen gerührt wird, oder dass Marine Le Pen Hortensien liebt und gern bretonische Kuchen backt, in ihrer Jugend aber Schweres durchgemacht hat? Sie durfte nämlich beispielsweise nicht wie andere die „Pif“-Comic-Hefte lesen, weil diese vom Parti Communiste Française herausgegeben wurden.
Natürlich möchten die Leute wissen, was das für Menschen sind, die das Land regieren wollen. In dieser Talkshow aber erfahren sie zwar manche Kleinigkeit, aber nichts Wesentliches. Moderatorin Le Marchand spielt selbst eine Rolle, indem sie sich mit verführerischem Blick neben ihren Gesprächspartnern auf dem Sofa räkelt und mit allem Charme eine Intimbeichte inszeniert. Es wirkt wie eine Realityshow. Alles ist inszeniert, die Interviewerin reagiert mit gestelltem Erstaunen auf die vorbereiteten Antworten, es wird umrahmt mit Musik und angereichert durch ausschließlich entgegenkommende Aussagen von Angehörigen. Über den „Intim“-Gast Nicolas Sarkozy sagt eine Off-Stimme: „Seine Energie ist legendär …“
Unkritischer geht es nicht. So wird Politik entpolitisiert.
Rudolf Balmer, Paris
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen