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Die Geschichte eines vergessenen Paragraphen

■ Das Strafgesetzbuch erlaubt die Ahndung von Völkermord auch bei Ausländern

Der Straftatbestand des Völkermordes, Paragraph 220a, ist 1954 ins Strafgesetzbuch eingefügt worden, nachdem die Bundesrepublik die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords von 1948 ratifiziert hatte. Die Strafbestimmung legt Zeugnis ab von dem in der Nachkriegszeit verbreiteten Willen, Konsequenzen aus den Mordtaten der Nazis zu ziehen und des Völkermords Schuldige auch dann zu verfolgen, wenn sie – bezogen auf das verfolgende Land – Ausländer waren und ihre Taten im Ausland begangen hatten. Insofern durchbricht sie die völkerrechtliche Regelung, die souveränen Staaten das Monopol für die Verfolgung auf ihrem Territorium begangener Straftaten zubilligt. Systematisch steht die Bestimmung unter den Straftatbeständen gegen das Leben, obwohl dieser Abschnitt des StGB Verbrechen und Vergehen gegen einzelne zusammenfaßt. Darin zeigt sich die Verlegenheit des Gesetzgebers, der es auf alle Fälle vermeiden wollte, einen eigenen Abschnitt über Verbrechen gegen die Humanität ins StGB aufzunehmen. Der Tatbestand des Völkermordes ist durch die Verwendung des Pronomens „wer“ auf Einzeltäter zugeschnitten, was die Verfolgung einer Tätergruppe nicht ausschließt. Der oder die Täter müssen den Vorsatz haben, „eine „nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zerstören zu wollen“. Der Begriff „Volk“ ist also sehr weit definiert.

Zweifellos sind die muslimischen BosnierInnen ein Volk im Sinne des Paragraphen 220a StGB. Völkermord begeht nicht nur, wer Mitglieder einer Volksgruppe tötet oder verletzt, sondern auch, wer der Gruppe Lebensbedingungen aufzwingt, die ganz oder teilweise zu ihrer Vernichtung führen können.

Wer in völkermörderischer Absicht tötet, wird mit lebenslanger Haft bestraft. In allen anderen Fällen, sofern sie minder schwer sind, ist auf Freiheitsstrafen nicht unter fünf Jahren zu erkennen. C. S.

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