Kommentar: Die Gerechtigkeitslücke
■ Die SPD verliert und verliert
Die SPD befindet sich nach wie vor im freien Fall. Mag sein, dass in NRW lokale Skandal den Verdruss der Wähler und die Ratlosigkeit der eigenen Klientel noch steigerte – das Problem ist die Bundesregierung. Als Schröder jüngst in Dortmund, traditionell eine SPD-Hochburg, redete, kamen gerade mal ein paar hundert Genossen. Das Ergebnis in Thüringen zeigt, dass die Lage für die SPD im Osten dramatisch wird. Mit der PDS wächst links eine zweite sozialdemokratische Partei heran, die, ohne dass sie dafür selbst viel tun muss, von der Schröder-Wende der SPD profitiert. Und „rechts“ profiliert sich die CDU mit exakt dem Thema, mit dem vor kurzem noch die SPD gegen Kohl kämpfte Gerechtigkeit und Renten. Dazwischen rutscht eine ratlose Ost-SPD noch hinter die PDS.
Warum die SPD offenbar von Woche zu Woche unbeliebter wird, dafür gibt es eine konservatives Erklärung: Es ist die Rache des undankbaren, satten Volkes. Draußen tobt die Globalisierung, doch die Wohlstandsdeutschen träumen von den 70er-Jahren. Deshalb wird jede Regierung, die das Notwendige tut, nämlich Sparen, bestraft. Schlussfolgerung: Schröder muss „Kurs halten“ – irgendwann wird das Volk schon einsehen, dass der Kanzler das Richtige tat.
Diese Erklärung hat etwas für sich – und viel gegen sich. Gewiss ist es merkwürdig, dass in Deutschland derzeit genörgelt wird wie eh und je – obwohl die Nettolöhne dieses Jahr 3 bis 4 Prozent steigen, dank Steuerentlastung und höherem Kindergeld. Doch am Grund dieser konservativen Erklärung scheint eine trübe Verachtung der Masse auf. Hier die Elite, die das Sparen predigt, dort das tumbe Volk, das nur auf seinen Vorteil bedacht ist.
Weil das auch die Botschaft ist, die Schröder ausstrahlt – deshalb verliert die SPD. Ist es denn ein Wunder, dass dies zumal die sozialdemokratische Basis übel nimmt? Sparen müssen und noch als anspruchsvoller Besitzstandwahrer gelten – das ist zu viel.
Politik beginnt jenseits der Schablonen vom egoistischen Volk und den weitblickenden Polit-Pädagogen, die am Starrsinn der Wähler verzweifeln. Sparen geht nicht als Befehl, es muss, in Deutschland mehr als anderswo, plausibel begründet werden. Und: Es muss klar sein, dass Sparen nicht nur die unten trifft. Wer das Gemeinwohl für sich reklamiert, darf nicht im Verdacht stehen, die Großen zu schonen. Solange Schröder dies nicht glaubwürdig kann, wird die SPD weiter verlieren. Stefan Reinecke
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