: Die Flut ist der Welt Ende
■ Brutale Morde im Schatten der Riesenwellen: Gemächlicher Nordsee-Insel-Krimi mit mittlerem Grauen-Quotienten
Also, dieser Krimi geht ja etwas langsam an. Trottet gemächlich am Deich entlang – genauso behäbig wie Onno, der übers Meer schaut und eine Flut vorhersagt. 'ne Flut, so ganz plötzlich, bei diesem schönen Wetter? Nee, das kann nicht sein, denken die anderen Bewohner jener winzigen Nordseeinsel, deren Namen Rebekka Wulff, Autorin der Mörderischen Flut, nicht nennt.
Aber irgendwie kennen sie ihren Onno, irgendwie scheint sich seine Prognose in die Hirne der anderen hineinzufressen, durch eine kurzes Bemerkung, einen schnellen Blick. Und so entwickelt sich parallel zur Furcht vor dem Hochwasser die Erinnerung an all die Morde, die die vorigen Flutwellen gebracht haben und deren Täter nie ermittelt wurden.
Spannend ist nicht nur die Suche der Dorfbewohner nach dem Mörder, sondern auch der bizarre – für Esoteriker sicher nicht überraschende – Zusammenhang zwischen Gezeiten und Psychosen. Denn bei der Flut kann einer von ihnen nicht mehr an sich halten, rennt raus, haut alles kurz und klein – ohne erkennbares Motiv. Sicher, alle Ermordeten hatten Streit mit dem Bürgermeister, aber das reicht als Motiv natürlich nicht. Und so lenkt die Autorin die Leserschaft pflichtschuldigst flugs noch auf eine falsche Fährte, bevor sich auch in den Akteuren verdichtet, was dem Leser schon lange schwant: dass es der Außenseiter ist, der die Morde beging, motiviert durch ein Kindheitstrauma.
Nicht weiter kriminalistisch aufregend also, psychologisch eher einseitig motiviert, die Story – und trotzdem bleibt sie interessant: nicht nur, weil der Festländer sich in des Insulaners Sozialgebaren einfühlen kann, sondern auch, weil die Flut-Morde die Verdichtung all jener Ängste sind, die das Meer in den Menschen hervorruft: Es scheint, als erwarteten die Inselbewohner mit jeder Flut das Ende der Welt. Ihrer Welt. Petra Schellen
Rebekka Wulff: Mörderische Flut. 2000, Scherz-Verlag; 208 Seiten, 12,90 Mark.
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