: Die Farbe Grau
Neue Spiel- und Dokumentarfilme aus Südafrika ■ Von Andrea Seibel
Jede Idee hat ihre Zeit, sie hat ihren Ort und manchmal auch ihre Farbe. In Südafrika ist es grau. Grau steht für politische Prozesse mit Zentripetalkraft, bei denen überhaupt nicht abzusehen ist, ob sich das Zusammengeworfene auch verträgt. Grau geschieht einfach. Hillbrow, ein Stadtteil mitten in Johannesburg, ist grau. Grey area im Apartheidjargon meinte auch das Zwielicht, das Aussätzige, Unkontrollierte, Abstoßende, das sich der schwarz-weißen Karthographie entzog. Hillbrow, die „Sündenstadt“, wo alles erlaubt scheint, ist der kosmopolitischste Ort Johannesburgs, ja vielleicht ganz Südafrikas. Erst jetzt erkennt man ihn. Bisher wurde er nur in Dokumentarfilmen beschrieben, nur einige Spielfilme benutzten Hillbrow als knallige Kulisse. Die Straßenschluchten – samt der für die sonstige Einfamilienhausarchitektur (man hat ja genug Land!) untypischen Mietshochhäuser – erinnern an die Dynamik und Moderne amerikanischer Städte.
Hillbrow ist der Platz für alle, die flohen, die weggingen. Die Gefahr ist sehr groß, daß solch „graue“ Inseln neuer Lebenswelten allzuschnell romantisiert werden. Doch genau das weiß Regisseur Brian Tilley mit seinem dreiteiligen Fernsehfilm „In a time of Violence“ (1993) zu verhindern. Hier agieren neureiche, fiese schwarze Hausbesitzer ebenso wie verarmte Weiße und schwarze Schwule. Hier taucht das Auge der Kamera tatsächlich in die abgeschotteten Lebenswelten ein, hier wird ein Film mit Menschen gezeigt.
Zwar ist die politische Gewalt zwischen Inkatha und ANC der Beweggrund für einige Figuren des Films, Soweto zu verlassen und nach Hillbrow zu gehen. Doch weigert sich der Film zu Recht, den Diskurs um die „gute, wahre“ Seite in den Mittelpunkt zu stellen. Waffendealer Pedro, Mozambikaner und ehemals auf seiten der Befreiungsbewegung Frelimo, verkauft Waffen an Meistbietende, ob Inkatha oder ANC. In einer Schlüsselszene des Filmes wird – auf der Basis des Wissens um den postkolonialen Niedergang Mozambiks und Angolas – die Leidenschaft in Frage gestellt, mit der die junge Mpho an die Mission des ANC glaubt: „Vielleicht wird man in zehn Jahren ganz anders über den ANC urteilen müssen.“
Zu einem Zeitpunkt, wo alle nur von den baldigen Wahlen in Südafrika reden, versucht dieser Film, ein zweieinhalbstündiges Meisterwerk aus Liebesgeschichte, politischem Thriller und Sittengemälde, den südafrikanischen BetrachterInnen eine Zukunftsperspektive zu bieten. Sie müssen sich fragen, wohin sie gehen und ob sie wirklich gewählt haben. Die Zeit läuft ab.
Jede Idee hat ihre Zeit. Elaine Proctors Film Friends, im vergangenen Jahr neben dem Filmmusical Sarafina heftig im Land diskutiert, hat seine Zeit verpaßt. Das Melodram um drei Freundinnen (englisch-weiß, burisch-weiß und schwarz) ist eine Rückkehr zu den Hollywood-Produktionen der 80er Jahre: Die guten Weißen retten die Schwarzen. Alles an diesem Film ist retardierend und künstlich, nichts überzeugt. Weder wird deutlich, was die Freundschaft der drei Frauen ausmacht, als auch, was diese Menschen bewegt — außer Sophies zärtliche Erinnerung an ihre schwarze Nannie. Dafür wirft sie dann für den ANC Bomben und geht ins Gefängnis. Die Frauen werden auf eine geradezu diskriminierende Weise als Sklavinnen ihrer Emotionalität gezeichnet: Eine unerträgliche Hysterie, ein ewiges Stöhnen und schweres Atmen liegt über allem. 1993 einen teuren, weißen Film (vielleicht deswegen für internationales Publikum geeignet und 1993 in Cannes präsentiert) über „white angst“ zu drehen, ist blanker Anachronismus.
Jede Zeit hat ihre Form. Nach Jahrzehnten der Gehirnwäsche durch das staatliche Fernsehen (SABC) kann es gar nicht genug Fernsehproduktionen geben, die demystifizieren, was zuvor mystifiziert, die zurückgeben, was gestohlen wurde: Bilder, Biographien, Geschichte. Wie in der Literatur steht auch im Film das Autobiographische, der (historische) Dokumentarfilm im Mittelpunkt. Man kann sich über Details der fünfteiligen Fernsehdokumentation „Ulibambe Lingashoni“ streiten, man kann der Reihe gar zu große ANC-Nähe vorwerfen — ein unverzichtbarer Film über die Geschichte des Widerstands gegen Apartheid im 20. Jahrhundert bleibt sie dennoch.
In Südafrikas Filmlandschaft gibt es pro Jahr, pro Saison immer noch eine dürftige Ernte. Wie gesagt, Sarafina und Friends 1993. 1994 jedoch wird ein gutes Jahr. Brian Tilleys Film wird sicherlich heftig diskutiert werden. Produzent Jeremy Nathan meinte denn auch: „Was ist heute schon 'politisch korrekt'? Unser Wunsch war, einen spannenden Film über das Leben ganz gewöhnlicher Südafrikaner zu machen, das ständig von Gewalt erschüttert wird. Ich will gute Debatten und Diskussionen. Was mehr können wir tun?“
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