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■ Die Erfahrungen der Einwanderer mit „Bürgerarbeit“ könnten die Debatte über die Krise und Zukunft der Arbeitsgesellschaft belebenAusbaufähige Modelle der Selbsthilfe?

Klar, früher war alles besser. Sogar die Zukunft. Wohlhabende Suburbs, siebenspurige Schnellstraßen, keine Verkehrsstaus und keine Polizei – so stellte man sich 1939 auf der Weltausstellung in New York die Stadt der Zukunft vor. „Democracity“ wurde sie genannt. Polizisten und „Null Toleranz“-Strategien brauchte sie nicht, weil „eine Stadt ohne Armut und Slums kaum Kriminalität hervorbringt“. Schöne alte Welt.

Die Suburbs und Schnellstraßen sind Realität und die Verkehrsstaus länger geworden; die Polizei ist geblieben und der Glaube an den kausalen Zusammenhang zwischen Armut und Kriminalität ein wenig aus der Mode geraten. Statt „Democracity“ sagt man heute „städtisches Ballungszentrum“, was schon allein vom Klang her wenig Gutes verheißt. So wenig ist vom Optimismus im Hinblick auf die Zukunft der Städte übrig geblieben, daß manche Stadtplaner und Soziologen im vorauseilenden Gehorsam nicht nur die Integration von Immigranten für gescheitert erklären, sondern gleich noch deren Segregation etwas Positives abgewinnen können – und zwar aus Sicht der Einwanderer: Eine „gesicherte Identität“; ein besserer Zugang zum Arbeitsmarkt durch Branchen, die bereits von Landsleuten besetzt sind; Einbindung in soziale Netze der ethnischen Community. Warum also „forcierte Mischung“ betreiben, wenn die ethnischen Gruppen – zunächst einmal – aus guten Gründen unter sich bleiben wollen?

Das ist ja alles schön und gut: Natürlich suchen die meisten Einwanderer – das zeigt die Geschichte von Deutschen in Wisconsin über Polen im Ruhrgebiet bis zu Türken in Berlin-Kreuzberg – zuerst einmal die Nachbarschaft von Landsleuten. Deswegen gibt es in einem Einwanderungsland wie den USA „Chinatowns“, „Little Haitis“ und „Little Koreas“. Doch deren politische und gesellschaftliche Akzeptanz beruht auf einem zentralen Faktor: Diese ethnischen Stadtviertel befinden sich in einem permanenten Zustand der Fluktuation – basierend auf dem festen, allseits geteilten Glauben, daß die erste Generation zu schlechten Löhnen und auf einem oft ethnisch segmentierten Arbeitsmarkt schuftet, um der nächsten Generation den Sprung aufs College und in den gesellschaftlichen und ökonomischen Mainstream zu ermöglichen. Aus Little Italy in New York ist längst eine chinesische Nachbarschaft geworden; in den Vierteln kubanischer Immigranten in Miami leben heute Haitianer; aus Koreatown in Los Angeles verabschieden sich täglich mehr Familien nach Suburbia. Wo diese Verheißung des ewigen Aufbruchs und Neuanfangs nicht umgesetzt wird – aus Gründen, die vor allem mit Rassismus und Arbeitsmarktpolitik zu tun haben –, entstehen „Ghettos“.

Deutschland ist nicht die USA. Hierzulande geht es nicht um ständig neue Einwanderergenerationen, deren ethnische Netzwerke und Nachbarschaften wohlmeinende Soziologen vor rigiden Integrationsprogrammen deutscher Bürokraten schützen müßten. Es geht vielmehr um Immigrantenkinder der zweiten und dritten Generation. Und die waren längst auf dem Weg der Integration – bis die Mauer fiel, jede Menge Molotowcocktails flogen und sie plötzlich froh sein mußten, wenn deutschstämmige Mitbürger proklamierten: „Ausländer sind auch Menschen.“ Viele haben sich daraufhin wieder in ihre ethnische Gruppe hineindefiniert, obwohl sie nichts weiter gemein haben als das Wissen, als Türken ausgegrenzt zu werden. Das ist der zeitliche und politische Kontext, in dem Soziologen die These aufstellen, daß man Immigranten erst einmal eine Phase der Segregation gestatten müsse, damit sie sich eine „gesicherte Identität“ aufbauen und dann auf „das Abenteuer des Neuen“ einlassen könnten. Fürwahr eine abenteuerliche Konstruktion.

Nun wollte der Zufall, der wahrscheinlich keiner ist, daß Experten für Stadtplanung und Migration den vermeintlichen Charme der ethnischen Segregation und ethnischen Netzwerke just zu dem Zeitpunkt entdecken, da Experten für Ökonomie und Arbeitsmarkt die anhaltende Deregulierung, den Abschied von der Vollbeschäftigung und der traditionellen Biographie des Erwerbstätigen verkünden. Einwanderer sind von dieser Entwicklung bekanntermaßen härter betroffen als Einheimische. Soll heißen: Der wichtigste Weg zur ökonomischen Eingliederung – und damit eine zentrale Voraussetzung für staatliche und kommunale Integrationspolitik – ist für eine wachsende Anzahl von Immigranten verstopft.

Statt nun den altbekannten Teufelskreis von Arbeitslosigkeit, Verarmung und Ghettoisierung zu beschreiben, möchte ich lieber einen Vorschlag zur „forcierten Mischung“ der Debatte machen: In der gesamten Diskussion über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft kommen Immigranten so gut wie nicht vor – es sei denn als Opfer von Dumpinglöhnen oder als Konkurrenten von deutschen Arbeitnehmern. Keine Tagung zum Thema Globalisierung vergeht, ohne daß Schlagworte wie „Flexibilität“ und „Mobilität“ in aller Munde sind. Aber die Erfahrungen der Einwanderer, die qua definitionem zu den mobilsten und flexibelsten Menschen einer Gesellschaft gehören, interessieren niemanden.

Kein Kommissionsbericht zur Zukunft der Arbeitsgesellschaft, in dem nicht Modelle der „Bürgerarbeit“ oder des „dritten Sektors“ durchdekliniert werden. Doch seltsamerweise fragt keiner danach, wie die vielbeschworenen „fließenden Übergänge“ zwischen Erwerbstätigkeit, Weiterbildung und ehrenamtlichem Engagement in ethnischen Communities praktiziert werden.

Womöglich käme man dann zu dem Schluß, daß polnisch-deutsche Netzwerke zur Versorgung von Pendlern aus Osteuropa ein ausbaufähiges Instrument im Umgang mit der Dienstleistungsgesellschaft und ihren Niedrigstlohnjobs sein könnten. Womöglich käme man zu dem Schluß, daß Alphabetisierungskurse von islamistischen „Milli Görüș“-Vereinen unter die Rubrik Bürgerarbeit fallen, was die Bürgerarbeit nicht ab- und „Milli Görüș“ nicht aufwerten muß.

Es wäre aber interessant zu wissen, in welchen Gruppen dieser Gesellschaft welche Formen von Arbeit entstanden sind. Es wäre interessant zu wissen, wie zum Beispiel Immigranten das immer größer werdende Vakuum zu füllen versuchen, das der Staat im Bereich der Bildungs- und Jugendpolitik entstehen läßt.

Aber dazu muß man zuerst einmal die Segregation der Debatte aufheben. Andrea Böhm

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