Die Entscheidung über Tempelhof: Berlin ist wieder geteilt

Wenn die Berliner am Sonntag über den Flughafen Tempelhof entscheiden, ist das nicht nur eine Wirtschaftsfrage. Es geht um die Luftbrückenhoheit.

Alt gegen neu. Bild: dpa

"Be Berlin", lautet die jüngste Imagekampagne der Hauptstadt, die gestern ihre Zwischenbilanz vorgelegt hat. Die Botschaft ist eindeutig: Berlin ist ein Lebensgefühl, und jeder kann daran teilhaben. Erfolgreich ist in diesem "New Berlin", wer jung ist, kreativ und ungewöhnliche Wege beschreitet.

Seit einigen Monaten aber meldet sich auch "Old Berlin" zu Wort. Meistens heißt dieses Wort "Ja". Es prangt auf großflächigen Wahlplakaten und den Titelseiten der Springer-Gazetten. "Ja", sagen auch Berlins CDU und die Berliner Industrie- und Handelskammer. Das "Ja" ist ein "Ja" auf eine Frage, die die Berliner Gemüter erregt wie lange nicht mehr und am Sonntag im ersten landesweiten Volksentscheid der Hauptstadt zur Abstimmung steht. Soll der innerstädtische Flughafen Tempelhof offen bleiben? Oder soll er, wie es der Senat längst beschlossen hat, seinen Betrieb am 31. Oktober beenden?

Bei Lichte betrachtet, ist die Frage klar: Damit der neue Airport Berlin Brandenburg International in Schönefeld 2011 an den Start gehen kann, müssen Tempelhof und Tegel geschlossen werden. Das sieht der Planfeststellungsbeschluss für den BBI vor, und auch die Gerichte haben sich dieser Position angeschlossen.

Doch Tempelhof ist längst kein rationales Thema mehr. Seitdem die Initiative City Airport Tempelhof (Icat) die nötigen 170.000 Unterschriften für Tempelhof gesammelt und damit den Volksentscheid am Sonntag erzwungen hat, ist klar: Das Thema ist ein hoch emotionaler und explosiver Cocktail. In ihm wurden verrührt: die Berlin-Blockade und die Luftbrücke der Alliierten, Westberliner Frontstadt- und Lebensgefühl, der Wunsch, dem rot-roten Senat die Rote Karte zu zeigen.

Dass es so weit kommen konnte, hat nicht nur den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) überrascht, der die Sprengkraft des Cocktails lange Zeit unterschätzt hat. Auch Linke, Grüne und Berlins Bürgerinitiativen und Umweltschützer staunen Bauklötze. Was ist nur mit der Hauptstadt los? Warum steht, 60 Jahre nach der Luftbrücke und 45 Jahre nach Kennedys "Ich bin ein Berliner", plötzlich wieder Berlins Freiheit auf dem Spiel?

Lange Zeit haben sich die Protagonisten des "Neuen Berlin" sicher gefühlt. Sie haben der Stadt ein neues Gesicht verpasst (Potsdamer Platz, Regierungsviertel, Hackescher Markt) und dem Abbau von Industriearbeitsplätzen den Zuwachs an kreativen Jobs (Medien, Kulturwirtschaft) entgegengehalten. Dabei konnten sie sich auf einen beispiellosen Austausch der Bevölkerung berufen: Seit der Wende hat ein Drittel der Berliner die Stadt verlassen, ein neues Drittel ist dazugekommen - und bevölkert die Cafés in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain.

Was der Senat dabei übersehen hat: Vor allem die Westberliner sehen sich eher als Verlierer denn als Gewinner dieses "Neuen Berlin". Am Kurfürstendamm sterben Kinos und Theater. Der Bahnhof Zoo ist zum Regionalbahnhof degradiert worden. Und nun soll mit dem Flughafen Tempelhof auch noch das letzte Symbol Westberlins sterben. Damit ist das Fass übergelaufen: Old Berlin schlägt zurück.

Und New Berlin? Das sitzt staunend vor dem Latte Macchiato und versucht zu verstehen. Dabei hätte es durchaus ein Gegenprojekt zur Emotionalisierung des Flugbetriebs in Tempelhof gegeben: die suggestive Kraft der Nachnutzung des Flughafengeländes - Central Park statt Zentralflughafen. Blöd nur, dass der Senat die Nachnutzungsdiskussion jahrelang verschlafen hat. Nun aber, da die Pro-Tempelhof-Kampagne an Fahrt gewonnen hat, kommen all die schönen Ideen, vom Landschaftspark über Zwischennutzungen und Wohnen im Grünen, zu spät.

Dass die Icat am Sonntag tatsächlich die zum Volksentscheid nötigen 610.000 Jastimmen erzielt, will keiner mehr ausschließen. 250.000 Wahlberechtigte haben bereits Briefwahl beantragt, die jüngste Umfrage des Instituts GMS im Auftrag der Bild-Zeitung sieht die Tempelhof-Befürworter mit 63 Prozent gegenüber 21 Prozent Neinsagern vorn. Gut möglich also, dass Klaus Wowereit und sein rot-roter Senat am Sonntag ihre erste große Niederlage einstecken. Und eine folgenreiche obendrein. Kurfürstendamm schlägt Friedrichstraße, Old Berlin hits New Berlin, das wäre eine andere Botschaft als "Be Berlin". Berlin ist wieder eine geteilte Stadt.

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Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.

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