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Die Einträchtigen

von BETTINA GAUS

„Ich freue mich darauf, dass wir jetzt alle gemeinsam loslegen“, ruft Renate Künast in den Saal. „Ich gehe davon aus, dass ein Neuanfang der grünen Partei wirklich gelingt“, sagt Fritz Kuhn. Ist die Botschaft angekommen? Das wollen Delegierte des Parteitags in Münster immer wieder von Journalisten wissen. Ob die endlich begriffen hätten, dass es jetzt aufwärts gehe mit den Grünen. Oder ob die Presse die Partei wieder niederschreiben werde. Wie ein roter Faden ziehen sich diese Fragen, oft unverhohlen aggressiv, durch Gespräche am Rande der Zusammenkunft. Die neuen Parteivorsitzenden haben eine schwere Aufgabe vor sich. Wenn Schuldzuweisungen an die Adresse der Medien zu einem beherrschenden Thema geworden sind, dann geht es einer Patei erfahrungsgemäß ziemlich schlecht.

Strahlend, gelöst, erleichtert

Kuhn und Künast haben die glanzvolleren Tage der Grünen miterlebt. Beide sind 1979 der Partei beigetreten. „Gab’s irgendeinen anderen Ort, wohin man hätte gehen können?“, fragt Renate Künast, als sie sich einige Tage vor dem Parteitag daran erinnert. Sie erzählt von ersten politischen Erfahrungen und von Bildern. Von einem Foto, das sie als Jugendliche im Stern gesehen hat. Ein kleines vietnamesisches Kind rannte darauf schreiend und mit erhobenen Händen vor US-Napalm davon. Sie berichtet von Fahrten nach Wendland, wo sie gegen die Atomindustrie demonstriert hat.

Wenn Renate Künast heute wieder 23 wäre, würde sie erneut bei den Grünen eintreten? Sie schaut verblüfft auf. Lange Pause. Dann, fast ungläubig: „Eintreten?“ Pause. Sie schmeckt dem Wort nach. „Können Sie mir die Frage nach dem Parteitag noch einmal stellen?“

Nicht nötig. Die Antwort ist eindeutig. Strahlend, gelöst und erleichtert gibt die Vorsitzende am Ende der Zusammenkunft die Devise aus: „Jetzt geht’s los!“ Mit diesen Worten trifft sie die Stimmung. Endlich, endlich sollen die mageren Jahre vorbei sein. Als „Zäsur“ werde der Parteitag von Münster in der Geschichte der Grünen einmal bezeichnet werden, haben auf den Gängen der Kongresshalle wieder und wieder Prominente und Unbekannte, Linke und Realos, ältere und junge Delegierte gesagt. Manchmal klang das wie eine verzweifelte Beschwörung, aber noch weit öfter ehrlich überzeugt. Die neue Hoffnung hat zwei Namen. Auf den Vorsitzenden lasten große Erwartungen.

Das Schicksal teilen sie mit anderen. Inhaltlich gleichen sich die meisten Parteien immer stärker einander an. Zugleich schwindet ihre Bedeutung gegenüber dem parlamentarischen Betrieb. Und dennoch – oder deshalb? – sollen es nun ausgerechnet die Vorsitzenden sein, die alle Probleme einer Partei überwinden können. Die CDU baut darauf, dass es Angela Merkel gelingt, sie wieder ganz nach oben zu bringen. Von der hat man allerdings seit ihrem triumphalen Wahlsieg auf dem letzten Parteitag nur wenig gehört. Das ist kaum erstaunlich. Sie ist weder Ministerpräsidentin noch Oppositionsführerin, und so bleibt ihr kaum mehr an politischen Gestaltungsmöglichkeiten, als Reden zu halten oder Pressekonferenzen zu geben.

Gefühl der Gemeinsamkeit

Renate Künast und Fritz Kuhn müssen sogar ihre Landtagsmandate aufgeben. Der bisher letzte Versuch, die traditionelle grüne Trennung von Amt und Mandat aus der Satzung zu streichen, scheiterte im März auf dem grünen Parteitag in Karlsruhe. Geld hat die Partei wenig, auch kaum Personal. Ist es vor diesem Hintergrund nicht größenwahnsinnig zu glauben, die hohen Erwartungen an die neuen Vorsitzenden ließen sich erfüllen? Renate Künast sieht das nicht so. Die Zäsur bestehe ja nicht nur in der Wahl neuer Personen, sondern auch in den geplanten neuen Formen der Zusammenarbeit. „Die anderen müssen mitmachen.“ Und die wollten das auch.

„Eine Partei braucht das Gefühl einer gemeinsamen Handlung“, sagt auch Fritz Kuhn. Die Aktionsfähigkeit der Partei lasse sich mit einfachen Mitteln vergrößern. Zum Beispiel bei der Diskussion über Benzinpreise. Da müsse sich dann eben jeder Kreisverband verpflichten, innerhalb eines Monats eine Veranstaltung zu organisieren. So teuer sei das nicht. „Da kann ich mir ganz viel vorstellen, wo Sie punktuell so etwas machen können.“

Als Zuhörerin fällt einem die Entscheidung schwer, ob Kuhn nun naiv ist – oder der Weg aus der Motivationskrise der Basis tatsächlich so einfach, dass man sich fragt, warum bisher noch niemand darauf gekommen ist.

Die neuen Vorsitzenden erwecken den Eindruck, an ihre neue Aufgabe mit Lust und mit einer Motivation heranzugehen, die über individuelle Karriereinteressen hinausgeht. Darin vor allem liegt die Faszination, die derzeit – noch? – von ihnen ausgeht. Bei den letzten Wahlen wollten sie nicht antreten. „Die Situation war noch nicht reif für neue Arbeitsformen und Erneuerung“, sagt Renate Künast. Erst jetzt sei der gemeinsame Wille der Partei dazu spürbar. Ob das auch den Wahlerfolgen der FDP zu verdanken ist? Angesichts der großen Zahl von Politikern, die über die Bürde ihres Amtes gewohnheitsmäßig stöhnen, ist die Zuversicht der beiden jedenfalls erfrischend. Aber ist sie auch berechtigt?

Den bisherigen Vorstandssprecherinnen Antje Radcke und Gunda Röstel hat der Parteitag einen sang- und klanglosen Abschied bereitet. Partei und Öffentlichkeit erwarten von Spitzenpolitikern, dass sie jederzeit zum Rücktritt oder zum Rückzug bereit sind. Dennoch aber halten es die Grünen offenbar nicht für ihre Aufgabe, ihre Spitzenkräfte sozial wenigstens ein bisschen abzusichern. „Die wurden verheizt“, sagt jemand aus dem Umfeld der grünen Regierungsmitglieder lakonisch.

Die Neuen machen sich um sich selbst noch keine Sorgen. Sie wollen erst einmal den Aufbruch gestalten. Die Arbeit des alten Vorstands hat auch daran gekrankt, dass die Partei von Regierung und Fraktion oft nur unzureichend informiert worden ist. Das soll anders werden. Außenminister Joschka Fischer, als dessen Wunschkandidaten Kuhn und Künast gelten, hat sich in den Parteirat wählen lassen; auch andere haben den Willen zu besserer Kooperation signalisiert. „Die Arbeitsteilung zwischen Fraktion, Regierung und Partei muss klarer definiert werden“, sagt Fritz Kuhn. „Bisher haben sich alle für alles zuständig gefühlt: Die Regierung für die Partei, die Partei für jedes Komma im Gesetzentwurf.“

Bislang habe sich die Fraktion allzu oft am programmatischen Vordenken versucht, meint Renate Künast. „Das ist aber nicht ihre Aufgabe.“ Ebenso wenig, wie es die Aufgabe des Bundesvorstands sei, „hinterherzuregieren“. Zwischen den beiden herrscht eine Übereinstimmung, die bisher nicht kennzeichnend für grüne Doppelspitzen gewesen ist.

Aus verschiedenen Welten

Dabei gab es Zeiten, in denen gerade Renate Künast und Fritz Kuhn sich wohl kaum hätten vorstellen können, dass ausgerechnet sie eines Tages gemeinsam die Hoffnungsträger ihrer Partei werden würden. Kuhn, dessen Gedankenspiele über „punktuelle“ Zusammenarbeit mit der CDU gegen Ende der Achtzigerjahre selbst den eigenen konservativen Parteiflügel verstörten, und Künast, die nach der Räumung besetzter Häuser durch den Berliner Senat maßgeblich am Bruch der rot-grünen Koalition in der Stadt beteiligt war: Was sollten der Realo und die Linke schon miteinander anfangen oder gar gemeinsam erreichen können?

Aus verschiedenen Welten scheinen die beiden auch heute noch zu kommen. Schlagfertig, schnell und großstädtisch wirkt die 44-jährige, unverheiratete Renate Künast, gutbürgerlich bis an die Grenze der Biederkeit ihr gleichaltriger Kollege Fritz Kuhn. Die baden-württembergische Heimat, die Familie mit den beiden Söhnen, das eigene Zuhause: bislang war die vertraute, unmittelbare Umgebung der Ruhepol in seinem Leben. Jetzt betont Kuhn, dass er sich auf den Umzug in die Hauptstadt freut. Ungeteilt? Na ja.

Aber die Zugehörigkeit zu verschiedenen Flügeln und unterschiedlichen kulturellen Milieus hat bei den Grünen wohl endgültig ihre über Jahre hinweg dominierende Bedeutung eingebüßt. Was das inhaltlich bedeuten wird, bleibt abzuwarten. „Ökologie und Demokratie. Das waren die grünen Kernthemen, und das werden die grünen Kernthemen auch in Zukunft sein“, sagt Renate Künast. Fritz Kuhn, um eine Überschrift über das künftige Programm der Grünen gebeten, sagt, das Wort sorgfältig wägend: „Eine Menschenrechtspartei“. Nicht allein im traditionellen, engen Sinne, darauf legt er Wert. Zu den Menschenrechten, wie Kuhn sie versteht, gehöre auch, die Interessen künftiger Generationen zu berücksichtigen und die Lebensqualität durch ökologische Modernisierung zu steigern.

Noch lässt sich nicht absehen, ob diese Definitionen in einem Grundsatzprogramm mit konkreten Inhalten gefüllt werden können oder ob sie Schlagworte bleiben. Es gibt allerdings einen Hinweis darauf, dass die neuen Vorsitzenden vielleicht tatsächlich lieber handeln möchten, als Fensterreden zu halten: Beide haben kaum je, wenn sie über ihre Partei gesprochen haben, den politisch korrekten Zusatz „Bündnis 90“ angefügt. Dafür aber oft die große Notwendigkeit konkreter Aktionen in den neuen Bundesländern betont, damit die Grünen nicht zu einer westdeutschen Regionalpartei werden. Man wird sehen.

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