■ Stadtmitte: Die Chance zur radikalen Wende
Das seit dem Spätsommer 1992 vorliegende „Energiekonzept Berlin“ des Umweltsenators läßt den Verdacht aufkommen, mit dem Beitritt zum Klimabündnis europäischer Städte und der damit verbundenen Verpflichtung zur Halbierung des Kohlendioxidausstoßes bis zum Jahre 2010 hätten die Politiker nur verbal ihre Muskeln spielen lassen, ohne die entsprechenden politischen Konsequenzen zu ziehen.
Ungeschminkt wird im Analyseteil des Energiekonzeptes festgestellt, daß sich weltweit mehr und mehr Klimaveränderungen abzeichnen, deren Auswirkungen mit unübersehbaren Gefahren für unser Dasein verbunden sind. Nur werden die Maßnahmen, die Hassemer für durchsetzungsfähig hält, wirklich der „völlig neuartigen Problemqualität“ gerecht?
Allein mit technischen und marktkonformen Maßnahmen ist die drastische CO2-Reduzierung, die auf allen Ebenen notwendig ist, nicht zu erreichen. Erforderlich ist vielmehr, mit der unbedenklichen Ressourcenverschwendung Schluß zu machen und dafür zu sorgen, daß sich die wirklichen Kosten von Energieerzeugung und -verbrauch in den Preisen niederschlagen. Eine grundlegende Überprüfung und Veränderung unserer Lebens- und Produktionsweisen steht an. Liebgewordene Gewohnheiten müssen in Frage gestellt werden. Mit Hinweis auf die Verantwortung des Bundes oder der EG und mangelnde Akzeptanz kann man sich davor nicht drücken.
Berlin wird nicht einmal eine CO2-Minderung um 25 Prozent schaffen, wenn z. B. kein Versuch unternommen wird, im Bereich des Verkehrs, der zu den bedeutsamsten CO2-Emittenten zählt, zu grundlegenden Veränderungen zu kommen. Aber obwohl selbst CDU-Politiker andernorts wegen der umweltbelastenden Faktoren des Autoverkehrs zu einer Trendwende im Umgang mit dem Auto auffordern, fällt Hassemer nichts anderes ein, als vorsichtig eine Privilegierung von Katalysator-Fahrzeugen anzusprechen, was nicht einmal dem Problem der hohen Schadstoffbelastung gerecht wird. Angesichts der schon gesundheitsgefährdenden Luftverpestung in den Berliner Straßen und um einen signifikanten Beitrag zur CO2-Reduzierung zu leisten, werden wir um eine Halbierung des Individualverkehrs nicht herumkommen. Dazu müssen schrittweise seine wirklichen Kosten geltend gemacht werden. Unfall- und Umweltschäden dürfen nicht weiter auf die öffentliche Hand abgewälzt werden. Hier muß das Verursacherprinzip zur Anwendung kommen. Unsozial ist das nicht. Denn das Auto kann nicht zur Mindestausstattung gehören, die der Staat subventionieren muß.
Gerade auch in Zeiten leerer öffentlicher Kassen muß Energieeinsparung eines der Hauptziele politischen Handelns sein. Die Regelungen des Berliner Energiespargesetzes dürfen nicht länger boykottiert, sondern müssen konsequent umgesetzt werden. Darüber hinaus sollte man alle Rechtsvorschriften daraufhin überprüfen, ob sie angesichts der energiepolitischen Notwendigkeiten einer Überarbeitung bedürfen. Das gilt in besonderem Maße für die Wirtschaftsförderung wie für Wohnungsneubau und -modernisierung. Ohne Zweifel ist es schwer, eine radikale Wende in der Energiepolitik durchzusetzen. Auch in der SPD gibt es dazu noch keinen allgemeinen Konsens.
Die Große Koalition aber bietet die einmalige Chance, auch schmerzhafte Veränderungen zu vollziehen. Eine begrenzte öffentliche Informationskampagne wird dafür das Feld nicht bereiten. Vielmehr ist dafür eine umfassende und intensive öffentliche Diskussion erforderlich. Sie muß nicht nur von den Umweltverbänden und -politikern aller Parteien geführt werden, sondern der zuständige Senator ist hier besonders gefordert. Wolfgang Behrendt
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