Die CDU-Spendenaffäre und ihre Folgen (6): Auch inden USA sind Parteispenden inzwischen ein Wahlkampfthema: Milliarden rauschen durchs System
Jedes Jahr, wenn der amerikanische Haushalt verabschiedet wird, macht die Gruppe „Common Cause“ (etwa: Gemeinwohl) eine Rechnung auf: Sie untersucht, inwieweit die ausgewiesenen Haushaltstitel gewissen Industrien nutzen könnten und ob diese Unternehmen vorher gezielt für Parteien und Wahlkämpfe gespendet haben. Gleiches gilt für Gesetzesvorhaben. Nehmen wir als Beispiel Amerikas Krankenversicherungsprämien. Sie sind u. a. deshalb so hoch, weil die Medikamente so teuer sind. Denn es hat sich immer wieder als unmöglich erwiesen, die Laufzeit für Patente zu verkürzen, damit generische Medikamente in Konkurrenz zu den Markenprodukten treten können. Den Staat und die Patienten kostet das jährlich 550 Millionen Dollar. Damit dies so bleibt, hat die Pharmaceutical Research and Manufacturers of America (PhRMA) zwischen 1991 und 1998 18 Millionen Dollar für den Wahlkampf ausgewählter Abgeordneter ausgegeben. Das Fazit von Common Cause: Gesetze im amerikanischen Parlament werden letztlich versteigert, nicht abgestimmt.
Nach europäischen Maßstäben kosten Wahlen in den USA astronomische Summen. Im letzten Präsidentschaftswahlkampf gaben die beiden Kandidaten Bill Clinton und Bob Dole zusammen 232 Millionen Dollar aus. Der Wahlkampf insgesamt verschlang 2,7 Mrd. Dollar – 1968 waren es noch 300 Millionen Dollar. Entscheidend sind die gewaltigen Ausgaben für Fernsehspots; mit ihnen hat z. B. Clinton seine Wiederwahl 1996 gesichert. Er galt als ungewöhnlich „kreativ“ bei der Geldbeschaffung; seine Methoden sind jetzt der Anlass für eine neu entbrannte Diskussion um die Wahlkampfspenden. So wird Clinton u. a. vorgeworfen, dass er über Strohmänner Spenden aus China angenommen hat – obwohl das amerikanische Gesetz Wahlkampfhilfe von Ausländern strikt verbietet. Dennoch waren im Fernsehen farbenfrohe Szenen zu sehen, wie Vizepräsident Al Gore Spenden in einem buddhistischen Kloster in Kalifornien entgegennahm – woher nur hatten die der Armut verpflichteten Nonnen so viel Geld? Auch wurde bekannt, dass Clinton potente Spender zu Kaffeekränzchen einlud. Besonders großzügige Geber durften gelegentlich im Weißen Haus übernachten, von dem böse Zungen sagten, es sei zu einem teuren Bed & Breakfast verkommen. Clintons oberster Geldbeschaffer prägte damals in aller Unschuld den seither viel zitierten Satz: „Mit dem Weißen Haus ist das wie mit der U-Bahn, der Zugang kostet Geld.“ Partei- und Wahlkampfspenden sind in den USA streng geregelt. Alle Spenden müssen offen gelegt werden. Dabei gilt: Privatpersonen dürfen bis zu 1.000 Dollar pro Kandidat und Wahl spenden sowie maximal je 20.000 Dollar an die Parteien. Körperschaften und Gewerkschaften dürfen an Kandidaten gar nicht, wohl aber an Parteien spenden. Das sieht nach einem einfachen und sauberen System aus – ist es aber nicht. Die Gesetze, die in den USA Wahlkampf und Parteispenden regeln, machen eine feinsinnige Unterscheidung zwischen hartem und weichem Geld. Hart ist, was Kandidaten für ihren Wahlkampf direkt bekommen. Weiches Geld sind Spenden, die an Unterstützerkomitees und Parteien gehen und für alles ausgegeben werden dürfen – nur für die direkte Finanzierung eines Kandidaten nicht. Clinton aber gewann seinen letzten Wahlkampf mit diesem weichen Geld. Er überflutete den Äther mit Anzeigen, die das Hohelied auf die Regierung Clinton sangen – aber sie endeten nie auf der Note: „Wählt Bill Clinton!“
Um dieses weiche Geld ist nun in den USA eine leidenschaftliche Auseinandersetzung entbrannt. Der Senator John McCain aus Arizona, der sich jetzt um den Posten des republikanischen Präsidentschaftskandidaten bewirbt, hat es zu seinem Wahlkampfthema gemacht. Denn weiches Geld rauscht in astronomischen Summen durch das politische System, und dabei sind keinerlei Grenzen gesetzt. In einem richtungweisenden, wenn auch umstrittenen Urteil hat Amerikas Bundesverfassungsgericht Parteispenden mit freier Rede gleichgesetzt. Logisch: Wer will schon Komitees, Vereinen oder Gruppen interessierter Bürger verwehren, Geld zu sammeln und damit ihre politische Meinung in die Welt hinauszuposaunen?
„Weiches Geld ist eigentlich gar nicht das Problem“, sagt Ben Ginsberg, Politologe an der Johns-Hopkins-Universität. „Es gleicht das System der Parteienfinanzierung in den USA an das europäische an, das ohnehin besser als das amerikanische ist. In Europa gehen zwischen 60 und 90 Prozent der Gelder an die Parteien, und die sind viel schwerer zu kaufen als einzelne Kandidaten.“ Amerikanische Wahlkämpfe sind nach Ginsbergs Auffassung deswegen so teuer, weil die Parteien in den USA eine so untergeordnete Rolle spielen: „In Europa werden Wahlkämpfe mit der Infanterie der Parteiorganisationen ausgefochten; Amerikaner hingegen bevorzugen auch in der politischen Auseinandersetzung die Luftschlacht. Meinungsumfragen und Fernsehspots aber kosten viel Geld. Und je teurer Wahlkämpfe sind, desto mehr sind Politiker von Geldgebern abhängig.“ Diese amerikanische Besonderheit führt der Politikprofessor Frank J. Sorauf von der University of Minnesota darauf zurück, dass die traditionellen Bahnen der Politik in den USA nicht mehr existieren. „Parteiloyalität und Aktivismus sind dahin. Meine Mutter, die mit 95 starb, hat ihr Lebtag nie republikanisch gestimmt, und ich bin 1956 für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Stevenson noch von Tür zu Tür gegangen. Leute wie meine Mutter sind heute selten, und ich habe keine Zeit mehr. Statt Klinken zu putzen, schreibe ich einen Spendenscheck. Und die Kandidaten müssen sich heute ihre Wählerschaft immer wieder neu suchen, statt auf Leute wie meine Mutter zu bauen.“ Sorauf bezweifelt auch, dass es die Spendenpraxis ist, was die Wähler dem politischen Prozess entfremdet. „In Familien, wo Mann und Frau arbeiten, hat man weniger Zeit, sich um Politik zu kümmern. Die Parteien und Kandidaten müssen immer lauter schreien, um überhaupt auf sich aufmerksam zu machen.“ Letztlich seien die politischen Spenden ein Spiegel der amerikanischen Gesellschaft selbst. „Geld stammt wie die politischen Meinungen aus vielen Quellen; und keine fließt derart reichlich, dass sie alle anderen Stimmen übertönen könnte.“
Die Meinungen über das amerikanische Spendensystem bleiben gespalten: Die Wahrnehmung, etwa von Common Cause, dass das politische System korrumpiert ist, wird breit geteilt. Doch was für die einen wie Korruption aussieht, ist für andere Partizipation. Ihre Spenden sind für sie eine Investition in das politische System. Ob sie sich letztlich auszahlt, ist ungewiss – für die Industrie genauso wie für die NGOs. Peter Tautfest
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen