Die CDU-Spendenaffäre und ihre Folgen (1): Scheitert das Parteiensystem oder stärkt die Affäre das Vertrauen in die deutsche Demokratie? Der Streit zu Beginn einer neuen Debattenreihe: Die Karawane zieht einfach weiter
Das große Gejammer hat begonnen: Bloß nicht zu laut und bitte nicht zu viel Aufklärung betreiben in den CDU-Spendenaffären. Die Demokratie könnte nämlich, so die Befürchtung, Schaden nehmen, schlimmer noch: Das Ansehen Deutschlands in der Welt könnte leiden. Denn was sollen die Menschen im Ausland noch von einer Republik halten, deren angesehener Kanzler jahrelang gegen Gesetze verstoßen hat? Was sollen die CDU-Mitglieder noch halten von ihrer Partei, die von ihrem langjährigen Vorsitzenden offenbar undemokratisch geführt wurde und der nach seinem Gutdünken aus unbekannten Quellen geschmiert worden ist? Und was sollen die Wähler noch halten von einer Demokratie, deren ehemalig prominentester Repräsentant sein dubioses „Ehrenwort“ höher einschätzt als seine Verpflichtung gegenüber Staat und Partei?
Niemand wird mehr wählen wollen, alle sind enttäuscht von der Parteiendemokratie und von den Macht missbrauchenden Mächtigen. Also – denn es ist so schön naheliegend – macht es wieder die Runde: das alles erklärende Wort „Politikverdrossenheit“. Dabei handelt es sich nicht nur um eine schreckliche Vokabel, die niemand mehr hören oder lesen will. Sie ist im aktuellen Zusammenhang auch noch ausgemachter Quatsch. Denn seit der Aufdeckung der Kohlschen Konten hat die Politik wieder eine Chance, Interesse zu wecken bei all jenen, die sich ihr jahrelang verweigert haben. Aus gutem Grund.
Wie war das denn während der nicht enden wollenden Jahre der Kohl-Regierung – und auch noch danach? Schon lange beherrschte einen das ungute Gefühl, da sei eine machtversessene, undurchschaubare Clique am Ruder, die sich von einem demokratischen Diskurs sowieso nicht beeindrucken lässt. Das verdarb jede Lust an einer ernsthaften Auseinandersetzung. Der Verdacht stand insgeheim schon lange im Raum, dass Kohl und Konsorten nicht ganz koscher seien – aber genauso sicher war da das Bewusstsein, dass sich die Herren niemals würden erwischen lassen. Das machte verdrossen.
Wie sich Helmut Kohl während seiner Wahlkampfauftritte zur vergangenen Bundestagswahl präsentiert hat, dieses wandelnde Denkmal seiner selbst, die Fleisch gewordene Selbstzufriedenheit: Das machte verdrossen.
Die allgemeine Austrocknung der Politsümpfe, die wir nun endlich erleben dürfen, ist keineswegs ein Zeichen für das Scheitern unseres Systems – ganz im Gegenteil. Dass es eine funktionierende Presse gibt, die in der Lage ist, ohne Furcht vor Repressalien Aufklärung zu betreiben, stärkt das Vertrauen in die Demokratie. Dass die Repräsentanten der CDU, Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, trotz aller Verschleierungsversuche nicht einfach über die Vorwürfe hinweggehen können und zumindest Letzterer daraus wohl auch persönliche Konsequenzen ziehen muss, stärkt das Vertrauen in die Parteien. Dass sich Staatsanwälte finden, die nun gegen den rechtsbrüchigen Ex-Kanzler ermitteln, stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Was ist schon passiert? Die Birne ist geplatzt. Doch die Karawane wird weiterziehen – ohne Helmut Kohl und vielleicht auch ohne CDU. Stefan Kuzmany
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