Die Bündnisgrünen wären mit dem Klammerbeutel gepudert, sollten sie jetzt, also bereits vor Beginn der Koalitionsverhandlungen in Düsseldorf, alles hinwerfen. Im Gegenteil: Sie müssen selbstbewusst und ohne präventive Demutsgesten zu den Gesprächen gehen.: Grüne: Mit Clement brechen?
Wolfgang Clement hat keinen Grund zur Überheblichkeit. Seine SPD hat in etwa genauso viele Prozente verloren, wie die Grünen. Natürlich droht er jetzt: Falls die Grünen nicht gefügig sind, wird er es mit der FDP versuchen. Davon sollte sich niemand einschüchtern lassen. In Wahrheit graust es Clement vor einer Koalition mit dem Großmaul Möllemann viel mehr als vor der Zusammenarbeit mit Vesper und Höhn.
Die Grünen haben sich als einigermaßen verlässliche und berechenbare Partner erwiesen. Wirtschafts- und vor allem verkehrspolitisch verstehen sich Clement und Möllemann zwar besser. Aber: Die FDP will zum Beispiel die Steinkohlesubventionen radikal streichen, an denen noch immer viele Arbeitsplätze hängen. Clement bekäme einen Riesenärger mit seiner Partei, sollte er dem zustimmen.
Es gibt noch einen weiteren Grund, warum Clement auf Möllemann nicht scharf ist: Der ist einfach der bessere Selbstdarsteller, bekannter und sogar beliebter als Clement, der als kalter Bürokrat gilt. Mit Möllemann an seiner Seite sähe Clement alt aus.
Das wird er sich nicht antun. Deshalb können die Grünen ruhig etwas höher ins Koalitonspoker einsteigen. Zumal bei den Gesprächen keine wirklich explosiven Themen auf dem Programm stehen: Zur Zukunft des Braunkohle-Tagebaugebietes Garzweiler II sind keine weiteren Vereinbarungen notwendig. Und beim Thema Metrorapid, Clements Superschnellzug, hat Bärbel Höhn bereits am Wahlabend Kompromissbereitschaft signalisiert.
Die Grünen dürfen jetzt auf keinen Fall kampflos aufgeben. Dies erwägt auch niemand ernsthaft. Sollten sie sich in NRW selbst zur Einflusslosigkeit verdammen, können sie sich genauso gut ganz auflösen. Nein, die Grünen haben jetzt die Chance zu zeigen, dass sie auch als Regierungpartei ihr ökologisches und soziales Profil bewahren. Sie müssen den tief greifenden Strukturwandel voranbringen, ohne dass soziale Gerechtigkeit und Umwelt auf der Strecke bleiben. Allerdings müssen sie ihre Ziele besser vermitteln als bisher.
Nur weil sie sich selbst so schlecht verkaufen, ist es dem Schneller-höher-weiter-Fetischisten Möllemann gelungen, die Grünen als Fortschrittsbremser und Arbeitsplatzvernichter darzustellen. Die Grünen dürfen sich nicht an die SPD anpassen und schon gar nicht an die FDP. Es stimmt: Rot-Grün hat vor allem bei den Jüngeren an Attraktivität verloren.
Offenbar lassen die sich von den mediengerechten Inszenierungen und den „Leistung muss sich wieder lohnen“-Parolen des Egomanen Möllemann beeindrucken.
Das gute Abschneiden der FDP bei den Jungen sollte für die Grünen Ansporn sein, die Jüngeren, ihre Ansichten, ihre Sprache und ihre Bedürfnisse ernster zu nehmen. In punkto Professionalität und Lockerheit können sie sich da eine Scheibe abschneiden.
Natürlich gibt es noch einen weiteren Grund, warum Rot-Grün in NRW nicht den Bach runtergehen darf: Es hätte verheerende Folgen für die Bundespolitik. Die Bundesregierung muss bis zum Ende der Legislaturperiode einige wichtige Reformvorhaben realisieren. Die Steuerreform, die Rentenreform und der Atomausstieg nehmen allmählich Konturen an.
Das heißt aber nicht: Fortsetzung der Koalition um jeden Preis. Denn ein fauler Kompromiss, zum Beispiel beim Atomausstieg, würde den Grünen mehr schaden als nützen. Rote und Grüne haben ein befristetes Zweckbündnis geschlossen und keine Ehe. Bei der nächsten Bundestagswahl ist wieder alles offen. TINA STADLMAYER
Die Autorin arbeitet mit Unterbrechungen (drei Jahre Spiegel und fünf Jahre als Korrespondentin in Japan) seit 1986 im Parlamentsbüro der taz.
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