: Die Besucherlösung
Brigitte Schäfers Mutter lebt im Heim - gegen ihren Willen. Sie verwahrloste, trotz ambulanter Betreuung. PROTOKOLL
"Das Drama begann vor etwa drei Jahren. Damals war meine Mutter Anfang 70. Sie hatte immer viel Wert darauf gelegt, sich und das Haus allein zu versorgen. Doch dann konnte sie nicht mehr kochen und das Haus sauber halten. Sie hatte damals schon eine Pflegestufe und bekam regelmäßig Besuch von Pflegediensten. Aber dann begann meine Mutter, die Pflegedienste nicht mehr reinzulassen, sie verweigerte es, sich waschen zu lassen, sie hat nicht gegessen, sie hat die Medikamente nicht genommen.
Vor eineinhalb Jahren eskalierte die Situation: Meine Mutter kam mehrmals ins Krankenhaus, immer mit den gleichen Symptomen. 'Körperliche Verwahrlosung', sagen die Mediziner. Sie war halb verhungert und verdurstet und hat auch ziemlich viel Alkohol getrunken.
Beim dritten Mal hat das Krankenhaus schließlich eine rechtliche Betreuung beantragt. Ich habe mich gemeldet. Meine Mutter hat auch zugestimmt, ohne zu wissen, was Betreuung bedeutet. Erst einmal ja nur, dass man unterstützend wirkt und nicht gegen den Willen der Person handelt. Aber ich hatte doch das Gefühl, die Rollen sind jetzt vertauscht. Meine Mutter auch. Sie sagte einmal, du bestimmst jetzt für mich.
Damals hatte ich mich schon nach Altenheimen in Krefeld erkundigt. Häusliche Pflege wäre nicht in Frage gekommen, meine Mutter duldete keine Fremden in ihrer Wohnung. Sie zu mir nach Hause zu holen, habe ich nie erwogen. Ein Freund fragte dann: Wieso suchst du nicht ein Heim bei dir in Berlin? Meine Mutter meinte dazu erst, sie möchte überhaupt nicht ins Heim, weder in Berlin noch in Krefeld. Aber nach dem dritten Mal in der Klinik sagte sie: Wenn es mir nicht besser geht, geh ich nach Berlin.
Brigitte Schäfers Mutter lebt im Heim - gegen ihren Willen. Sie verwahrloste, trotz ambulanter Betreuung
Dann ging alles sehr schnell. Ich habe einen Krankentransport organisiert. Glücklicherweise gab es in dem Altenheim, das ich mir ausgeguckt hatte, auch ein freies Einzelzimmer. Das ist ein Heim gleich bei mir in der Nähe mit einem riesigen Garten.
Am Abend nach dem Umzug habe ich sie besucht. Sie sagte: Bestell mir bitte ein Taxi, ich will zurück nach Krefeld. Bald schaltete sie einen Anwalt ein, der versuchen sollte, mich als Betreuerin des Amtes zu entheben. Sie beauftragte ihre Schwester, sie aus dem Heim zu holen. Es war absurd. Sie hat mich so beschimpft. Ich bin ständig in Tränen ausgebrochen.
Dann wurde es zusehends besser. Die Pflegerinnen haben sich rührend um sie gekümmert und in der ersten Zeit Stunden mit ihr geredet. Sie hat angefangen regelmäßig zu essen. Jetzt wohnt sie schon ein Jahr im Heim. Sie genießt das Gefühl, umsorgt zu werden. Natürlich leidet sie darunter, dass 80 Prozent der Leute ziemlich verwirrt sind. Letztens - das war wirklich ein Meilenstein - ist sie zum ersten Mal allein in den Garten gegangen."
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