Die Barbarei des flachen Landes: Eine Zugfahrt, die ist lustig
Bedroht zu werden ist nie schön. Aber es macht doch einen Unterschied, ob man nur kurz in der U-Bahn aneinander kracht – oder im gleichen Kaff wohnt.
E in bisschen witzig ist es schon, wie das Handy auf meine Suche nach „Karl Kautsky“ und „Barbarei des flachen Landes“ hin zurückfragt, ob Google auf meinen Standort zugreifen dürfe. Und mehr wollte ich im Grunde auch gar nicht wissen: Was die arg heißgelaufene Phrase nämlich wirklich zu tun hat mit meinem Leben vor der Stadt und dem Arbeiten mittendrin. Standortbestimmung ist nämlich wirklich der Punkt, auch wenn ich schon als Stadtmensch vorsichtige Zweifel hatte, wenn der Hipsterfreund mit „Barbarei“ vor allem die eingeschränkte Verfügbarkeit von Chai-Soja-Latte meinte.
Entzündet hat sich die Frage allerdings doch an etwas handfesteren Ärgerlichkeiten: an der Gewaltfrage nämlich und zwei unangenehmen Begegnungen in der vergangenen Woche. Die erste spielt in Berlin und muss schon darum als zivilisatorischer Normalbetrieb gelten: ein nächtlicher Streit in der U7, ein bisschen Geschrei – und nach dem blöderweise gemeinsamen Ausstieg in der Yorckstraße noch eine Flasche, die zwar vage in meine Richtung flog, dann aber nicht mal effektvoll zerschmettern wollte auf dem Bahnsteig.
Worum es ging? Keine Ahnung. Er hatte sich am Telefon gestritten, wollte dann mit mir weitermachen und meine Deeskalationsstrategie von wegen „Jaja, ist gut jetzt Junge“ war zu wenig oder zu viel oder wie auch immer.
Der Punkt ist jedenfalls: Ich hatte die ganze Geschichte circa 20 Minuten später fast wieder vergessen, nachdem er irgendwo zwischen Gleisdreieckpark und Anonymität verpufft war und ich eben woanders.
Showdown am Arsch der Heide
Nun aber Landleben: Die zweite Geschichte spielt zwar auch in einer langsamen Bahn, der regionalen allerdings, die sich am helllichten Sonntag durchs Nirgendwo der abgeerntenen Äcker zu Hause schleppt. Hier weiß ich auch genau, worum es ging. Ein älterer Typ hatte kurz die Maske ab, um etwas verloren dreinblickend nach Luft zu schnappen.
Zurechtgewiesen wird er dafür aber nicht von mir, sondern von einem mutmaßlich angetrunkenen Fredi, der aggressionsmäßig kurz vor 180 ein Programm abspielt, das mindestens in der Rollenverteilung überrascht: „Wo ist deine Befreiung, hä? Maske auf! Wegen solchen Pennern wie dir haben wir die ganze Scheiße“ – und so weiter. Der junge Mann schreit also den alten an und verweist dabei ausgerechnet von wegen anwesender Kinder auf die Gesundheit, während er ihm Schläge androht.
Weil’s vorgestern ja nur so mittelgut geklappt hat, versuch ich’s neben „Ist gut jetzt“ diesmal zusätzlich noch mit dem zarten Hinweis, dass der Typ seine Maske nun schon seit zwei Minuten wieder trage. Auch das geht schief und kurz vor seinem Ausstieg in meinem Nachbardorf pustet sich der Typ nochmal auf und hinterlässt mir zum weiteren Nachdenken den Hinweis, mir beim nächsten Mal „die Fresse einzuschlagen“, wenn ich nochmal „so das Maul aufreiße“. Und das habe ich tatsächlich nicht so schnell vergessen, eben weil es so ein nächstes Mal – anders als in Berlin – wohl tatsächlich geben wird.
Und auch wenn Googles Kalauer meine vulgärmarxistische Kautskylektüre vorzeitig beendet hat, bin ich mir nun doch nicht mehr so sicher, ob an der Barbarei des flachen Landes auch über Erb-, Pachtrecht und soziologisches Allerlei hinaus doch auch etwas Handfestes steckt. Diese komische Macht jener Gewaltmenschen, denen man immer wieder über den Weg läuft: der Schläger im Zug so wie die immergleichen Sachbearbeiter:innen in der Repressionsbehörde. Die bleiben einem hier erhalten, bis sie in Rente gehen und lassen einem nichts zwischen Unterordnung und Eskalation.
Falls man nicht doch zwischendurch Glück hat und mal einer in die Stadt zieht, um irgendwo am Gleisdreick zu verpuffen.
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