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Die Autorität

Ausnahme-Bassist und Liebhaber des Lieds: Charlie Haden gastiert mit seinem Quartet West in der Fabrik  ■ Von Andreas Schäfler

Ein guter Bassist hat es nicht nötig, sich in den Vordergrund zu spielen – lautet eine gußeiserne jazzpäpstliche Verordnung. Glücklicherweise wurde sie von geborenen Virtuosen wie Eddie Gomez und Niels-Henning Orsted-Pedersen nicht sklavisch befolgt. Und mit Anthony Cox, Charnett Moffett, Lindsey Horner und manch anderen herrscht an löblichen Ausnahmen von der fiesen Faustregel inzwischen kein Mangel mehr.

Am unentbehrlichsten von allen Kontrabassern aber hat sich Charlie Haden gemacht, der so strikt dem alten Leitsatz verpflichtet ist, als könnte es gar kein anderes Musikideal geben. Er spielt einen Ton – und traut sich, ihn stehen zu lassen: die Präsenz des Musikers im physischen Klang, den er hervorbringt. Und der ist bei Haden so einzigartig, daß meinem Gewährsmann Gregor, selbst praktizierender Kontrabassist und im allgemeinen gut erzogen, der Ausdruck „schweinegeiler Sound“ entfährt. Dann runzelt er die Stirn und rühmt Hadens Fähigkeit, in jedem Stück eine neue Tonleiter anzuwenden – und zwar die, nach der er im vorhergehenden noch gesucht habe.

Soweit die Komplimente eines Kollegen vom Fach, einmal kryptisch und einmal profan. Das Phänomen Haden läßt sich ohnehin nicht dingfest machen. Oder nur insofern, als die Reihe seiner Weggefährten eine schöne Beweiskette für musikalische Vielseitigkeit abgibt: Bei Ornette Coleman, Archie Shepp und Denny Zeitlin hat er sich, der heute 62jährige, das Rüstzeug geholt, es mit kongenialen Geistern wie Keith Jarrett, Carla Bley und Don Cherry – aber auch mit einem vergleichsweise entfernten Verwandten wie Pat Metheny – in einer unerschöpflichen Praxis erprobt, verfeinert und in eigenen Großformationen wie dem Liberation Music Orchestra auch immer wieder mit politischen Ambitionen umgesetzt.

Als Bassist ist Haden also eine Autorität, die jedes Ensemble geadelt hat, in dem er mitwirkte. Als Komponist gilt er als Liebhaber des Lieds, als Bandleader als einer der wenigen Gentlemen, die der Jazz heute hat. In seinem hervorragend besetzten Quartet West – das seit 1986 existiert und mit dem er am kommenden Mittwoch in der Fabrik die köstlichen Essenzen seines neuen Albums kredenzen wird – frönt Haden mehr dem verschmitzten Privatvergnügen als einer gesellschaftsbezogenen Agitation. Auf The Art Of The Song hebt er nebst je einem von Rachmaninov und Ravel einige bisher wenig bekannte Schätze aus Broadway-Shows und Film-Scores vergangener Dekaden – genuin amerikanische Balladen, mit souveränen Orchesterarragements für die Stimmen von Shirley Horn und Bill Henderson eingerichtet.

So opulent und atmosphärisch perfekt wird die Kulissenschieberei nicht ausfallen können, wenn Hadens Quartett sozusagen nackt auftritt, aber um so musikantischer werden die Herren wohl zu Werke gehen: Ernie Watts, als vielgebuchter Studiomusiker sonst oft zu unfehlbarem Facharbeitertum verdammt, bläst sein Tenorsax bei Haden ganz entspannt und mit wunderbar gedecktem Ton. Alan Broadbent ist die personifizierte Eleganz am Klavier und Larance Marable einer der ganz wenigen Schlagzeuger, der auch leise auftrumpfen kann. Dann und wann wird sich auch ein Solo des Bassisten herausschälen, wird seine Melodie die Gestalt eines Liedes annehmen, das in einem verwunschenen Treppenhaus wohnt. Und man wird Haden bereitwillig folgen, selbst wenn es tief in den finsteren Keller hinunter geht.

Mi, 30. Juni, 21 Uhr, Fabrik

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