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■ Die Ausweisung „Mehmets“ verstößt gegen internationales RechtAppell an die Menschlichkeit

Die vor wenigen Tagen gefällte Entscheidung des bayrischen Verwaltungsgerichts, „Mehmet“ und seine Eltern auszuweisen, ist im französischen Rechtssystem undenkbar. Sie markiert eine traurige und seltsame Auslegung der europäischen Menschenrechtskonvention. Diese bestimmt in Artikel acht, daß „jeder Mensch das Recht auf Respektierung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung, seines Briefgeheimnisses“ hat. Glaubt denn das Gericht etwa, daß die kollektive Ausweisung eine Form des Respekts vor dem Recht auf Familienleben ist, wie es durch die internationalen Konventionen geschützt wird? In diesen Schutz eingeschlossen sind die Eltern, die seit drei Jahrzehnten in Deutschland leben.

Und was ist mit den Rechten des Kindes, die in der Internationalen Konvention der Kinderrechte festgelegt worden sind? Die Bundesrepublik Deutschland hat diese Konvention unterschrieben und ratifiziert, wie übrigens auch alle anderen EU-Staaten. In ihrem Artikel drei bestimmt diese Konvention, daß jeder Akt einer öffentlichen oder privaten Institution, also auch eines Gerichtes, den Interessen des Kindes zu dienen hat. Hat dieser Gedanke das Verwaltungsgericht geleitet?

In ihrem Artikel 28 betont dieselbe Konvention das Recht des Kindes auf Erziehung. Der 14jährige „Mehmet“ besuchte bis zum heutigen Tage ausschließlich deutsche Schulen. Wie könnte er seine Ausbildung nach dieser brutalen Ausweisung fortsetzen, in einer Sprache, die ihm zum großen Teil unbekannt ist, und in einem sozialen System, das er nicht kennt?

Außerdem sieht Artikel 29 der Konvention vor, daß die Erziehung und Ausbildung das Kind auf ein „verantwortliches Leben“ in einer freien und demokratischen Gesellschaft vorbereiten soll. In Deutschland, wie übrigens auch in Frankreich, sind wir noch weit davon entfernt, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Das heißt allen Kindern die Chance zu geben, Staatsbürger zu werden, die fundamentale Rechtsgleichheit in allen Bereichen besitzen.

In Deutschland wie auch in Frankreich verstehen wir es nur zu gut, Delinquenten „Made in Germany“ oder „Made in France“ zu fabrizieren. Jawohl, das Gastland hat eine große Verantwortung gegenüber diesen „Migranten der zweiten Generation“, wie der Europarat sie nennt, die jedoch von nirgendwoher emigriert sind, da sie hier geboren oder manchmal sehr jung hierher gekommen sind. Es ist nicht zu spät, um die Politik zu ändern, um aus diesen Menschen gleichberechtigte Bürger zu machen.

Zweifelsohne hat die Entscheidung des bayrischen Verwaltungsgerichts diesen Minderjährigen und seine Eltern wie ein Bann getroffen. Die Familie besitzt zwar nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, ihre Bindungen an die Gesellschaft dieses Landes sind jedoch so stark, daß Deutschland für sie de facto eine Heimat darstellt. Kann man sich eine unmenschlichere Behandlung vorstellen als diejenige, einem Heranwachsenden den Boden, in dem er wurzelt, unter den Füßen wegzuziehen? Ein derartig inhumanes Vorgehen verletzt den Geist und die Buchstaben des Artikel drei der Europäischen Menschenrechtskonvention, der unmenschliche und degradierende Behandlung verbietet.

Menschenrechtsvereinigungen und Institutionen der Zivilgesellschaft der EU-Länder, vor allem Frankreichs und Deutschlands, müssen lernen, in der Verteidigung fundamentaler Werte wie Respekt gegenüber den Menschen und Rechte von Immigranten zusammenzuarbeiten. Vor allem die jungen Menschen, die auf dem Territorium der EU-Länder geboren oder dort aufgewachsen sind, müssen vor jeglicher Form von Ausweisung und Diskriminierung geschützt werden. Würden die Mitglieder der Bundesregierung doch nur die Appelle der europäischen Bewegung für die Menschenrechte hören und gegen den Bann von „Mehmet“ und seinen Eltern einschreiten. Bernadette Hetier

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