: Die Asphaltblüte
■ Claire Waldoff - vor vierzig Jahren starb die Urberlinerin aus dem Kohlenpott. Nach 1933 tanzte sie hart am Abgrund
„Ich möchte nicht der Engel sein, der dieses arme Seelchen einst am Auferstehungstag aus dem Grab holt. Es möchte mich nicht sehr fein begrüßen ...“ – Kurt Tucholsky hatte große Hochachtung vor der Kabarettistin und Chansonette Claire Waldoff, schon lange bevor sie zur bedeutendsten Interpretin seiner Lieder wurde. Nicht nur er war von der Art ihres Vortragens und ihrer Stimme begeistert und sah in ihr „die Vollendung des Berliner Hamins, des Schusterjungen“.
Claire Waldoff gehörte zu den profiliertesten Künstlerinnen des wilhelminischen Deutschland und der Weimarer Republik, bis die Nazis ihrer Karriere ein Ende machten. Vor 40 Jahren, am 22. Januar 1957, starb die Frau, die als Inbegriff der Berliner Schnauze gilt.
Dabei stammte Claire Waldoff aus dem Ruhrgebiet. Am 21. Oktober 1884 in Gelsenkirchen als Clara Wortmann geboren, schickten ihre Eltern das elfte ihrer 16 Kinder nach Hannover. Dort besuchte sie eine Schule, in der sie das nötige Rüstzeug für ihr selbstbewußtes und unerschrockenes Auftreten bekam: das Mädchengymnasium der bekannten Frauenrechtlerin Helene Lange. Untergebracht war die Schülerin bei einer Familie mit einem nicht unbekannten Sohn: Theo Lingen. Der kam allerdings erst 1903 zur Welt, jenem Jahr, in dem Claire Waldoff ihr erstes Engagement als jugendliche Liebhaberin in einem Provinztheater hatte. Drei Jahre tourte sie mit unterschiedlichen Ensembles durch die Provinz, bis sie sich in Berlin niederließ und vom Theater aufs Kabarett umstieg.
Die Künstlerin, die das Wort „knorke“ erfand, als sie nach einem Reim auf „Lorke“ suchte, nahm Berlin im Sturm. Bereits mit ihrem ersten Kabarettauftritt – in einem Herrenanzug, seinerzeit ausgesprochen anstößig – hatte sie einen so durchschlagenden Erfolg, daß die Theaterleitung noch in derselben Nacht veranlaßte, daß ihr Name auf den Ankündigungsplakaten groß herausgestellt wurde. Auch der profilierte Kritiker Alfred Kerr blieb von ihrem ersten Auftritt nicht unbeeindruckt: „Man muß sich einen neuen Menschen merken: Claire Waldoff. Ein originelles Talent, auf das man neugierig sein muß.“
Sie trat in Operetten, Varietés und großen Revuen auf. Mit ihrem besten Freund Heinrich Zille durchstreifte sie die Berliner Arbeiterviertel und Kneipen, wo sie „Feldstudien“ betrieb.
Manche ihrer nachdenklichen Großstadtlieder wie die „Großstadtpflanze“ waren den Menschen in den Hinterhöfen und Mietskasernen gewidmet. Die Berliner sangen ihre Gassenhauer und Chansons wie „Wat kiekste mir denn dauernd auf die Bluse“ oder „Hermann heeßt er“ mit Begeisterung.
Die Frau, deren Frisur Zille mit einer Omnibuslaterne verglich, brach mit den Konventionen der damaligen Kleinkunstbühne. Ihre Themen waren Berliner Liebe, Berliner Frauen, Berliner Leben. Sie spöttelte respektlos gleichermaßen über Spießer und Obrigkeiten. „Meine einfache Art, ohne Geste, nur auf das Mienenspiel der Augen gestellt, war etwas Neues auf der Kabarettbühne“, stellte sie später fest und wußte auch um dessen Wirkung: „Ich war und blieb die große Nummer in meiner Einfachheit.“
Der Dichter Joseph Roth charakterisierte sie als eine Frau, „deren erotischer und künstlerischer Reiz aus der übersteigerten Nüchternheit fließt; aus der ,Prosa‘ des Großstadtlebens; aus der brutalisierten Sphäre der Gefühle; aus der Unerbittlichkeit der Gesetze, welche die Straße beherrschen. Eine derbe Frau mit rauher Kehle und aggressivem Gemüt: unter ,Großstadtpflanzen‘ ein Prachtexemplar der Asphaltbotanik.“
Im Berlin der 20er Jahre war Claire Waldoff eine Institution. Ein Times-Korrespondent empfahl sie neben dem Brandenburger Tor als Berliner Sehenswürdigkeit. Allerdings trat sie nur eine Hälfte des Jahres in der Hauptstadt auf, die andere verbrachte sie mit Tourneen. Dem verlogenen Glamour der „Goldenen Zwanziger“ verweigerte sie sich.
Auch bei Arbeiterveranstaltungen trat sie auf, zum Beispiel bei den Bällen des Arbeiterradioclubs Dresden oder den Großveranstaltungen linker Zeitungen.
Anfang der 30er war Claire Waldoff auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs. Ihre Veranstaltungen waren – ob in Berlin oder bei ihren Tourneen – regelmäßig lange vor dem Auftritt ausgebucht. Zu ihren größten Triumphen zählte ihr Engagement an der renommierten Berliner Scala. Hier stellte sie auch ihr berühmtes, selbstverfaßtes Lied „Wer schmeißt denn da mit Lehm?“ vor, von dem sie meinte: „Ein Meisterwerk ist es ja nun gerade nicht – aber den Leuten gefällt es eben ...“
Die Nazis verhängten nach ihrem Machtantritt zwar kein formales Auftrittsverbot über sie, weil ihnen das angesichts ihrer Popularität zu gefährlich erschien, aber für den Rundfunk und den Film war sie gesperrt. „Es ist mir nichts geschehen. Ich tanzte nahe am Abgrund, aber keiner wagte, mich hineinzustoßen“, resümierte sie in ihren Lebenserinnerungen „Weeßte noch ...“. Ihr Lied „Hermann heeßt er“, mehr als zwanzig Jahre alt, wurde von den Nazis verboten, weil sie darin einen anzüglichen Bezug auf Göring sahen. Der Berliner Volksmund hatte das Lied umgedichtet: „Links Lametta, rechts Lametta / und der Bauch wird immer fetta / und in Preußen ist er Meester / Hermann heeßt er...!“ Kollegen rückten von Claire Waldoff ab, Theaterdirektoren annullierten Verträge, schließlich hatte sie keine Auftrittsmöglichkeiten mehr.
Während des Krieges siedelte sie mit ihrer langjährigen Lebensgefährtin Olly von Roeder in das bayerische Dorf Bad Reichenhall um.
Nach 1945 versuchte Claire Waldoff ein Comeback, konnte aber nicht an die alten Erfolge anknüpfen. Während die zeitgenössische Presse dies auf ihr Alter und ihre angeschlagene Gesundheit – sie war fast erblindet – zurückführte, einigte sich die Öffentlichkeit nach ihrem Tod darauf, daß sie nicht mehr den Ton der Zeit getroffen habe. In ihren letzten Jahren lebte die verarmte Claire Waldoff zurückgezogen von einem 150 Mark betragenden „Ehrensold“ des Berliner Senats in Bad Reichenhall, wo sie 1957 fast vergessen starb.
Wiederentdeckt wurde Waldoff zu Beginn der 70er. In Berlin wird ihrer an zwei Orten gedacht: Im Westen in Schöneberg in der Regensburger Straße, in der sie von 1919 bis 1933 lebte, erinnert eine Gedenktafel an sie, und im Osten, gegenüber dem Friedrichstadtpalast, immerhin ein ganzes Denkmal. Kadriye Acar
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