: Die Armen versammeln sich
Tausende Bauern, Fischer und Tagelöhner zelten in Thailands Hauptstadt. Sie fordern Entschädigungen und Schutz vor der Industrie ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch
Von weitem scheint es, als sei an den Ufern des Prem-Prachakon- Kanals von Bangkok über Nacht ein neuer Straßenmarkt entstanden: Bunte Sonnendächer aus Plastik sind an Bambusstäben vertäut, Transparente und Schilder bewegen sich schwach in der Mittagshitze, hier und da steigt Rauch von Sat-Grillen und Holzkohleöfen auf. Doch die Menschen, die sich seit Freitag in einer stillen Nebenstraße vor dem Gebäude der thailändischen Regierung drängen, sind nicht zum Spaß gekommen: BäuerInnen und Fischer, ArbeiterInnen und SlumbewohnerInnen aus dem ganzen Land campieren dicht an dicht. Sie liegen auf dünnen Matten, den Kopf auf ihre Bündel gestützt, neben sich ein paar Säcke von Reis, etwas Gemüse, Öl und Fischsauce.
Dörfer im verarmten Nordosten, deren Bewohner von korrupten Beamten betrogen wurden, haben diese Abordnungen geschickt. Sie sitzen neben Obdachlosen, die unter den Brücken von Bangkok wohnen.
Über zehntausend Männer und Frauen, Alte und Kinder sind nach Angaben der Organisatoren dieser „Versammlung der Armen“ gekommen, um den im November gewählten Premierminister Chavalith Yongchaiyudh und seine Minister an die Versprechen ihrer Vorgänger zu erinnern.
Die Politiker sollen endlich den Fischern helfen, deren Gewässer von Industrieabfällen oder Pestiziden der Agrarindustrie vergiftet wurden. Sie sollen den ArbeiterInnen thailändischer und internationaler Fabriken helfen, die auf längst überfällige Löhne warten.
Die Regierung solle auch dafür sorgen, daß die Not vor allem im Nordosten des Landes gelindert wird, wo die Bauern sich immer mehr verschulden, Haus und Hof verlieren, weil ihnen viel zuwenig für den Reis und das Gemüse gezahlt wird. Die Herren in Bangkok müßten endlich sicherstellen, daß die Bauern die Entschädigung für das Land erhalten, das die Behörden oft schon vor vielen Jahren für Staudämme und Straßen, Nationalparks und Kanäle enteignet haben.
Die 37jährige Chomehey Kuikao, die mit Dutzenden Nachbarn aus dem Norden Thailands gekommen ist, wartet immer noch auf das Geld für die drei Hektar, die ihre Familie für den Pak-Mun-Stausee opfern mußte. Obwohl der Damm nach heftigen Protesten der örtlichen Bevölkerung längst gebaut ist, sei die Kompensation bei den Bauern nie angekommen. Statt dessen haben die Beamten sie vertröstet. „Ich verlange nur, was mir zusteht“, sagt Chomehey Kuikao. Im Arm hält sie ihren zwanzig Monate alten Sohn. Er ist ihr drittes Kind.
In Bangkok versammeln sich die Opfer der rapiden Wirtschaftsentwicklung Thailands, welche das 60-Millionen-Einwohner-Land in den letzten zehn Jahren überrollt hat und die sich vor allem auf die Hauptstadt des Landes konzentriert. Unter der Herrschaft des Militärs und korrupter Zivilregierungen wurden neue Fabriken und Industrien ohne Rücksicht auf die Folgen für Umwelt und Gesundheit der Bevölkerung gebaut. Die Gewerkschaftsgesetze sorgten dafür, daß die ArbeiterInnen in den Betrieben ungeschützt blieben. So ist die Kluft zwischen Arm und Reich in Thailand heute so groß wie nie. Viele der Bauern, die auf dem harten Pflaster lagern, sind nicht zum ersten Mal nach Bangkok gekommen: Schon im vergangenen April waren die Armen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt geströmt.
Damals war noch Premier Banharn Silapa-archa an der Macht. Er versprach viel, setzte ein paar Kommissionen ein und schickte die Bauern nach Hause. Geschehen ist seitdem nichts.
Das soll ihnen dieses Mal nicht passieren, sagen die Sprecher der „Versammlung der Armen“, unter deren Dach sich im vergangenen Jahr 47 regierungsunabhängige Organisationen zusammengefunden haben. Heute sind es schon über 100 soziale, gewerkschaftliche und ökologische Gruppen.
Bislang ist der Generalsekretär der „Versammlung“, Bamrung Kayotha, noch optimistisch. Premier Chavalith hat seine Minister angewiesen, mit den Beschwerdeführern zu verhandeln. Am Donnerstag sollen die Gespräche beginnen. Bamrung droht der Regierung: Wenn sie wieder versuche, mit leeren Versprechungen davonzukommen, werden weitere hunderttausend Bauern aus dem ganzen Land nach Bangkok reisen.
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