Baris Sulu war in der Türkei Mitglied der oppositionellen Partei HDP und setzte sich als Aktivist für LSBTI-Rechte ein. 2015 floh er nach Deutschland Foto: privat

Die Angst läuft mit

LSBTI Auch hier in Berlin, der selbst ernannten Regenbogenhauptstadt, können sich queere Geflüchtete nicht immer sicher fühlen. Schutz vor Diskriminierung und Gewalt bietet eine von der Schwulenberatung betriebene Unterkunft für LSBTI-Flüchtlinge

von Leonie Schlick

An einem Tag Ende November sitzt Baris Sulu, der aus der Türkei nach Deutschland geflohen ist, in einem Neuköllner Café und zieht an seiner Zigarette. Er ist 38 Jahre alt, sein Dreitagebart hat einen leichten Graustich. In der Türkei ist er Mitglied der oppositionellen Partei HDP gewesen und hat sich als Aktivist für die Rechte von lesbischen, schwulen, bi-, trans- und intersexuellen Menschen (LSBTI) eingesetzt. Als Sulu sich zunehmend bedroht fühlt, verlässt er vor knapp anderthalb Jahren seine Heimat. In Deutschland stellt er einen Asylantrag, auf den Antwortbescheid wartet er noch.

Sulu bezeichnet sich selbst als queer, ist in einer Beziehung mit einem Transmann. „In Berlin fühle ich mich sehr sicher“, sagt er. Diese Aussage ist für ihn keine Selbstverständlichkeit. Denn auch in der selbst ernannten Regenbogenhauptstadt sind LSBTI-Angehörige immer wieder Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt. Betroffene Flüchtlinge haben zusätzlich mit Ablehnung und auch Angriffen durch andere Flüchtlinge, Sicherheitspersonal oder Sprachmittler zu kämpfen.

Baris Sulu kennt einige solcher Geschichten. Auch er und sein ebenfalls geflüchteter Partner wurden in der Vergangenheit bei einem Ämterbesuch von Mitgliedern der dort tätigen Security-Firma wegen ihrer sexuellen Orientierung beleidigt, erzählt er.

Solche Pöbeleien sind nur eine von vielen Formen von Hasskriminalität gegen LSBTI-Flüchtlinge. „Die Delikte umfassen alle Stufen von Beleidigung bis Körperverletzung, sowohl in der Unterkunft als auch im öffentlichen Straßenraum“, berichtet die Oberstaatsanwältin Ines Karl. Als Berlins erste Ansprechpartnerin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen bei der Staatsanwaltschaft ist sie auch für Hasskriminalität zuständig, die sich gegen LSBTI-Flüchtlingen richtet. Auf Nachfrage zur Anzahl der Anzeigen sagt sie: „Es gibt keine gesonderte Statistik, aber definitiv einzelne Fälle.“

Hass in der Notunterkunft

Das bestätigt auch der Lesben-und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD). „Wir haben allein zwischen August 2015 und Mai 2016 130 LSBTI-Flüchtlinge beraten, die Hasskriminalität erfahren haben“, sagt Jörg Steinert, der Geschäftsführer des LSVD.

2015 kamen etwa 55.000 Geflüchtete nach Berlin, 2016 waren es nur noch knapp 17.000. Die Zahlen beziehen sich auf diejenigen, die mindestens für die Dauer ihres Asylverfahrens ihren Wohnsitz hier haben.

Sexuelle Orientierung wird bei der Erfassung von Flüchtlingen selbstverständlich nicht abgefragt, Zahlen queerer Geflüchteter gibt es deshalb keine.

In Berlin haben viele Beratungsstellen der LGBT-Gemeinde ihr Angebot für Geflüchtete erweitert. Der Lesben- und Schwulenverband betreibt zudem ein Wohnheim für homo- und transsexuelle Flüchtlinge. (taz)

Ein Ort, an dem es häufig zu Übergriffen kommt, sind die Aufnahmeeinrichtungen, ob Not- oder Gemeinschaftsunterkunft. Ines Karl schildert den Fall einer Transfrau, die im April 2016 in einer Notunterkunft angegriffen wurde. Mehrere heterosexuelle Männern schlugen und schubsten sie, am Ende war ihr Arm gebrochen. Solche gewalttätigen Übergriffe bleiben zwar die Ausnahme, trotzdem schüren sie Angst unter LSBTI-Flüchtlingen. „Nicht alle haben Probleme, aber die meisten haben Sorge, dass ihnen in den Unterkünften etwas passiert“, erklärt Stephan Jäkel von der Schwulenberatung.

Darauf hat der Senat reagiert. Seit Februar 2016 gibt es eine Unterkunft nur für LSBTI-Flüchtlinge, die von der Schwulenberatung betrieben wird. Rund 120 Menschen finden hier Platz. „Die Unterkunft besteht aus 29 Wohneinheiten, die als WGs genutzt werden. Da haben wir dann WGs für schwule und bisexuelle Männer, für Trans-Personen, für lesbische Frauen“, erzählt Jäkel.

Auch Baris Sulu und sein Partner leben in dieser Unterkunft. „Wir erhalten viel Hilfe durch die Schwulenberatung und andere LSBTI-Verbände“, sagt Sulu. Trotzdem ist das Paar auf der Suche nach einer eigenen Wohnung. Denn wie andere Gemeinschaftsunterkünfte auch, ist die LSBTI-Unterkunft nur als temporäres Zuhause gedacht. „Im besten Fall ist das hier eine Zwischenstation, gleichwohl wissen wir, dass nicht alle sofort eine Wohnung finden werden“, erklärt Jäkel. Die Flüchtlinge dürfen also bleiben, bis sie eine Wohnung gefunden haben.

Seit es die Unterkunft gibt, habe die Zahl der Übergriffe auf LSBTI-Flüchtlinge abgenommen, erzählt Jörg Steinert vom LSVD. Gleichzeitig komme es auch in anderen Situationen immer wieder zu Hasskriminalität, beispielsweise bei Behördengängen. Hier gebe es vor allem in Wartesituationen immer wieder Fälle, in denen insbesondere Transfrauen vom Sicherheitspersonal angefeindet werden, berichtet Steinert. Auch Sprachmittler, die bei Anhörungen übersetzen sollen, agierten mitunter trans- oder homo­feindlich. Das habe der LSVD bei Ämterbegleitungen durch freiwillige Übersetzer des Verbandes entdeckt.

Schwierige Amtsbesuche

Das erschreckende Resultat: In 19 von 34 Ämterbegleitungen, seien die Freiwilligen Zeugen geworden, wie die Sprachmittler die Geflüchteten beleidigten oder Daten unzureichend übermittelten. Auch die Schwulenberatung hat davon gehört: „Es gibt Fälle, in denen die Sprachmittler abwiegeln, ‚Ach, das musst du hier gar nicht erzählen, das spielt keine Rolle‘, bis hin zu ‚Das übersetze ich nicht‘ oder den Fall, dass Interviews abgebrochen werden“, erzählt Stephan Jäkel. Zudem gebe es immer wieder Berichte von Flüchtlingen, dass auch die zuständigen Beamten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hinsichtlich der sexuellen Orientierung oder Identität nicht immer rücksichtsvoll seien.

Anfeindungen erleben LSBTI-Flüchtlinge auch bei Integra­tionsmaßnahmen

Dagegen können die Betroffenen beispielsweise mit Hilfe der Schwulenberatung vorgehen: „Wir haben viel Vertrauen bei den meisten BewohnerInnen, so dass sie uns davon berichten, und wir dann auch dagegen vorgehen können, wenn es gewünscht wird. Entweder mit unserem Volljuristen in der Verfahrensberatung, oder mit unserem Antidiskriminierungsmitarbeiter“, erzählt Stephan Jäkel.

Anfeindungen erleben LSBTI-Flüchtlinge bisweilen auch bei Integrationsmaßnahmen. „In Sprachkursen besteht häufig das Problem, dass sich LSBTI-Geflüchtete dort nicht outen können. Trans-Personen haben es da besonders schwer“, weiß Jäkel. Er findet es deshalb wichtig, so viele spezielle Schutzräume und Angebote für LSBTI-Flüchtlinge zu schaffen, wie möglich. Sie sollen zur Ruhe kommen können.

Auch Baris Sulu hofft, dass bald wieder Alltag in seinem Leben einkehrt. Die Entwicklungen in der Türkei haben ihn sehr mitgenommen. Zurzeit besuchen er und sein Partner einen Deutschkurs. Wenn das geschafft ist, will Sulu nicht mehr unbedingt als LGBTI-Aktivist tätig sein. Lieber würde er einem kreativen Beruf nachgehen. Als Dekorateur beim Fernsehen zum Beispiel.