■ Die Anderen: Die "Neue Osnabrücker Zeitung", die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" und der "Schwarzwälder Bote" zu Gysi / Die russische Tageszeitung "Nesawissimaja Gaseta" zu den abkühlenden Beziehungen zwischen Rußland und den USA
Die „Neue Osnabrücker Zeitung“ zu Gysi: Vorwürfe, das Verfahren gegen den PDS-Agitator werde bewußt in den Wahlkampf hineingezogen, überzeugen nicht. Es gibt genügend Anzeichen, daß die Auseinandersetzung dem alerten Juristen eher nutzt. In den eigenen Reihen bewirkt sie mit Sicherheit einen Solidarisierungseffekt, und ob sie ihm bei den nicht parteigebundenen Wählern in den neuen Ländern schadet, ist höchst fraglich. Obwohl Manfred Stolpe und Gregor Gysi völlig andere Funktionen in der DDR hatten und ihr Verhalten deshalb kaum vergleichbar ist, bleibt doch die Erkenntnis, daß Stasi-Kontakte allein noch nicht das Ansehen schmälern. Im Westen wird es dafür wenig Verständnis geben, aber es ist ein Faktum, nur erklärbar aus über 40 Jahren Lebenserfahrung im sozialistischen System und einem Wandel des Bewußtseins nach einer weit kritischeren Haltung in den ersten Jahren nach der Wende.
Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ zum gleichen Thema: Über Gysi und seine Freunde müssen letztlich die Wähler entscheiden. Aber für die war der Karlsruher Prozeß von vornherein nicht so wichtig. Am wenigsten interessierte er die Menschen in den alten Bundesländern. Die westdeutschen Gysi-Fans haben der Stasi längst großzügig verziehen, was diese den Ostdeutschen angetan hat. Aber auch vielen Gysi-Gegnern war die Frage einer mehr oder minder formellen Stasi-Mitarbeit egal: Schließlich war der Staatssicherheitsdienst nur „Schild und Schwert“ der später in PDS umbenannten Partei.
Und der „Schwarzwälder Bote“ zu Gysi: In Berlins Osten, wo er kandidiert, werden ihm die Stasi-Vorwürfe eher helfen. Weshalb zu befürchten ist, daß der nächste Bundestag erneut über den Fall Gysi streitet. Es sei denn, Gysi gelingt es, als Beitrag zur politischen Hygiene sein Erinnerungsvermögen aufzufrischen.
Die russische Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“ zu den abkühlenden Beziehungen zwischen Rußland und den USA: So paradox es klingen mag, ein Jahrzehnt nach dem Ende des Kalten Krieges verstehen Moskau und Washington die Besorgnisse, Motive und Ziele des anderen auf dem Gebiet der internationalen Sicherheit viel weniger als während der harten Konfrontation und des Wettrüstens. Die persönlichen Beziehungen zwischen den Präsidenten beider Länder bleiben allerdings außerordentlich warm und herzlich. Aber leider werden diese Freundschaftsgefühle immer weniger von den politischen Kräften Rußlands und der USA geteilt, insbesondere von den Parlamentariern, der Presse und der Öffentlichkeit. Aber neue Spannungen und ein Verfall des Zusammenwirkens der Großmächte im Bereich der Sicherheit müssen verhindert werden.
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