: Die Akademiker-Formel
Wer bekommt wie viel? Seit Wochen wurde hinter den Kulissen verhandelt, heute soll entschieden werden, wie die Zukunft der Universitäten aussieht
VON FLORIAN HOLLENBACHUND CHRISTIAN FÜLLER
Anne Meier wollte eigentlich schon vor zwei Jahren Medizin studieren. Weil ihre Noten aber für den Numerus clausus (NC) nicht reichten, begann sie eine Ausbildung als Arzthelferin. Diese hat die 21-Jährige inzwischen abgeschlossen. Sie weiß sogar schon, was sie werden will – Kinderärztin. Eigentlich alles wunderbar – nur hat Anne schon wieder keinen Studienplatz bekommen. Denn der Numerus clausus wird immer härter.
Heute treffen sich die 16 deutschen Wissenschaftsminister in Dresden. Ihr offizieller Auftrag besteht darin, Anne Meier und den vielen tausend Studienbrechtigten zu helfen. Denn in den kommenden Jahren wird die Zahl der Studierenden in Deutschland geradezu explodieren – von heute 2 Millionen auf 2,7 Millionen im Jahr 2013. Daher wollen die Wissenschaftsminister einen so genannten Hochschulpakt besiegeln. Dafür sollen 1,9 Milliarden Euro lockergemacht werden, um schleunigst Studienplätze auszubauen.
Für das laufende Wintersemester haben sich bundesweit 33.000 Abiturienten auf die 8.492 Medizinstudienplätze beworben. Macht vier Bewerber für einen Platz. In Tiermedizin rangeln fünf Studienberechtigte um einen Platz. Der NC liegt bei 1,0 Notendurchschnitt im Abitur. Aber nicht nur in Medizin sind Studienplätze Mangelware. Wie eine Epidemie breitet sich der NC auch über andere Studiengänge aus. Bei Bachelor-Programmen liegt der Anteil zulassungsbeschränkter Studiengänge in Berlin bei 92 Prozent, in Hamburg bei 86, in Baden-Würtemberg bei 81 Prozent.
Wer sich nun schnelle und unbürokratische Hilfe von den Wissenschaftsministern erhofft, sollte sich nicht zu früh freuen. Die Beteiligten des heutigen Treffens verraten wenig und spaßen viel. „Wir gackern erst, wenn das Ei gelegt ist“, sagte etwa Niedersachsens Hochschulminister Lutz Stratmann (CDU). Vor kurzem noch wollten die Länderminister, überzeugte Föderalisten, den Bund auf Teufel komm raus von ihren Studienplätzen fernhalten. Doch jetzt ist alles anders, stöhnt ein Minister: „Alle, aber auch wirklich alle halten die Hand auf, um was vom Bundesgeld abzubekommen.“ Lutz Stratmann, einer der härtesten Verfechter der Kulturhoheit der Länder, etwa versprach am Mittwoch im Landtag, „dass Niedersachsen keine Mittel verfallen lässt“.
Bei dem Gefeilsche, das seit Wochen um den Hochschulpakt hinter den Kulissen stattfindet, geht es um viel Geld. Die Bildungsministerin des Bundes, Annette Schavan (CDU), hat einen Topf von 565 Millionen Euro auf den Tisch gestellt. Das ist der Anteil des Bundes. Von diesem Geld wollen nun alle Minister für ihr Land einen möglichst großen Batzen bekommen. Jeder hat gute Gründe vorzubringen: Der Osten, dem die Studierenden ausgehen, will seine Studienplätze erhalten – um seiner davonlaufenden Jugend nicht noch ein Aufbruchsignal zu geben. Und der Westen, wo die Studierendenzahlen drastisch zunehmen, braucht jeden Cent – um die totale Verstopfung seiner Unis zu verhindern.
Wie es an den Hochschulen aussieht, kann man landauf landab beobachten. An der Uni Potsdam etwa fanden sich zum Semesterstart mehr als 200 Studenten zu einer Veranstaltung ein. Nein, keine Vorlesung, ein Seminar. Normalerweise arbeitet man dort mit 20 bis 30 Studierenden. Dieses Seminar aber musste zweimal den Raum wechseln – damit überhaupt alle Studenten in einen Saal passen. Studien- und Seminarplätze zu bekommen, schimpft Kai Gehring, Grünen-Abgeordneter im Bundestag, „ist wieder ein Lotteriespiel geworden“ (siehe Interview).
Am Mittwoch nun schienen die Staatssekretäre der Länder für Wissenschaft in einer Arbeitsrunde das Ei des Kolumbus gefunden zu haben. Herausgekommen ist in komplizierten Zweiergesprächen zwischen SPD- und CDU-Ländern eine ulkige mathematische Formel. Dabei wird zunächst der Zuwachs der Studienanfänger von Jahr zu Jahr ermittelt, sodann multipliziert mit dem Quotienten von Studienanfängern und Abiturienten. Dabei kommt ein Aufschlagsfaktor heraus. Dieser wird erneut multipliziert mit dem in Euro umgerechneten Anteil der Studienanfänger des Landes an den deutschen Studienanfängern. Bei den neuen Bundesländern steht hinter dieser Formel sogar noch ein „+ 25 Prozent“, bei Berlin „+ 8 Prozent“.
Der komplizierten Formel liegt eigentlich eine kluge Idee zugrunde. Die Länder sollen endlich einen Anreiz dafür bekommen, zusätzliche Studienplätze zu schaffen. Alle in der Hochschulszene, vom Centrum für Hochschulentwicklung über die Hochschulrektoren bis zur gelb-grün-roten Opposition, huldigen dem Prinzip „Geld folgt Studenten“. Nur können sich die Wissenschaftsminister nicht einigen, mit welchem Modell sie das hehre Prinzip umsetzen wollen. „Einige Länder ergehen sich darin, immer neue komplizierte Verteilungsmodelle zu entwickeln“, lästerte etwa einer der Beteiligten.
Bei den Hochschulrektoren winkt man ohnehin nur ab, wenn es um den Hochschulpakt geht. Deren Präsidentin Margret Wintermantel verweist stets darauf, dass da zu wenig Geld drin ist. Statt der 1,9 Milliarden Euro schätzt Wintermantel den Betrag, der nötig ist, um den Studentenansturm im Jahr 2013 zu bewältigen, auf 3,4 Milliarden Euro. Und dieses Geld müsste sofort für neue Professoren und Dozenten ausgeben werden – ansonsten müsse ein großer Teil der Studierwilligen „vor den Toren der Hochschulen bleiben“.
Anne Meier, die gerade ein Pflegepraktikum im Krankenhaus absolviert, weiß, was Frau Wintermantel meint. Aber sie wird langsam unsicher. „Nach zweieinhalb Jahren Wartezeit überlege ich, ob ich nicht vielleicht doch was anderes machen sollte.“