piwik no script img
taz logo

Archiv-Artikel

american pie Dicke Luft unter den Körben

Nach dem Titelgewinn des Abwehrbollwerks Detroit Pistons wird zu Beginn der neuen NBA-Saison wieder über die Förderung des Offensivbasketballs diskutiert

Die Boston Red Sox haben es gerade bewiesen: Offense gewinnt doch Meisterschaften. Der neue Baseball-Champion hatte sein Team rigoros mit hochkarätigen Battern angefüllt, ganz gleich, ob deren Qualitäten in der Defensive ihrer Treffsicherheit mit dem Schläger auch nur annähernd entsprachen. So rannten sie sich munter gegenseitig über den Haufen, ließen die Bälle davonkullern, anstatt sie zu fangen, und warfen sie dann einem Gegenspieler in den Rücken, einem Schiedsrichter an den Kopf oder gleich ins Leere. Die Fans im Fenway Park von Boston beendeten die Saison denn auch mehrheitlich mit Frisuren, die vom vielen Haareraufen an die des Kramer aus der TV-Serie Seinfeld gemahnten. Machte aber alles nichts. Offensiv waren die Red Sox tiptop und gewannen so gegen St. Louis erstmals seit 1918 die World Series.

Ein wenig von diesem Offensivgeist würde man der Basketball-Liga NBA wünschen. Jahr für Jahr erheben sich Klagen über die zunehmende Betonung von Abwehr und Spielzerstörung, Jahr für Jahr sinnt die Liga auf Mittel, diesen Trend zu brechen, Jahr für Jahr wird es bloß schlimmer. Zuletzt mit dem Titelgewinn der Detroit Pistons, die ihren Kontrahenten kaum Luft zum Atmen ließen, geschweige denn Platz zum Werfen.

Dass Detroit den Coup der letzten Saison wiederholen kann, glaubt kaum jemand zu Beginn der neuen, die gestern mit dem Match der Pistons gegen Houston startete. Als Favoriten werden die San Antonio Spurs gehandelt, die Minnesota Timberwolves, aber auch im Osten Miami Heat mit seinem neuen Gravitationszentrum Shaquille O’Neal, oder die Houston Rockets, wo Neuzugang Tracy McGrady mit dem Chinesen Yao Ming ein Paar bilden soll, so dominant, wie einst Magic Johnson und Kareem Abdul-Jabbar bei den Los Angeles Lakers. Diese sind neuerdings als Los Angeles Kobes unterwegs, viel zugetraut wird ihnen zunächst mal nicht.

Eine spannende NBA-Saison scheint garantiert, dass sie spektakuläreren Basketball bringen wird als zuletzt, darf aber bezweifelt werden. Heute kommt es einem vor wie ein Märchen aus längst vergangener Zeit, aber Mitte der Achtzigerjahre betrug der Punkteschnitt der Teams in der Liga stolze 110 pro Match. Keine einzige Mannschaft lag unter 100, ein Wert, den in der Saison 2003/04 nur noch zwei Teams, Sacramento und Dallas, erreichten. Dafür wurden sie oft des Harakiri-Basketballs bezichtigt, besonders, nachdem sie früh in den Playoffs gescheitert waren. Der Schnitt der erzielten Punkte aller Teams betrug 93,4. In den sechs Spielen der Serie zwischen Detroit und den Indiana Pacers kam keine der beiden Mannschaften auch nur einmal über 85 Punkte.

Das Magazin Sports Illustrated hat sich die Mühe gemacht, statistische Daten über die Spielweise der NBA-Teams in den letzten zwanzig Jahren auszuwerten, um die Gründe für den galoppierenden Punktverlust zu ermitteln. Dabei kam als wesentliche Ursache heraus, dass erheblich langsamer gespielt wird und infolge dessen die Zahl der Ballbesitze pro Team von knapp 105 auf 92 im Schnitt sank. Pro Ballbesitz wird also in etwa ein Punkt erzielt, auch das war früher ein wenig mehr. Gesunken ist vor allem die Trefferquote bei Zweipunktewürfen sowie die Zahl der Offensivrebounds und Freiwürfe. Das hängt zusammen mit Zonenverteidigung und Zunahme der Dreierversuche, die zwar häufiger als früher im Korb landen, diesen Effekt aber durch ihre Nebenwirkungen zunichte machen. Lag der Anteil der Distanzwürfe in der ersten Dekade nach Einführung der Dreierlinie in der NBA vor 25 Jahren noch bei rund sieben Prozent, sind es jetzt 18,7.

„Der Wurf wird heute viel zu oft verwendet und macht das Spiel kaputt“, findet Steve Kerr, selbst ein Spezialist in dieser Sparte. Statt Fast Breaks zu laufen oder schnell zum Korb zu ziehen, wird langwierig versucht, einen Distanzschützen freizuspielen, auch wenn diese Art des Basketballs in der NBA längst nicht so dominiert wie im internationalen Basketball, wo viele Mannschaften inzwischen extrem auf den Dreier setzen. In der NBDL, der Entwicklungsliga der NBA, wird diese Saison die Abschaffung der Dreierlinie geprobt, an eine ähnliche Maßnahme in der NBA sei aber nicht gedacht, versichert Stu Jackson, Vizepräsident der Liga.

Dafür sind die Schiedsrichter angewiesen, schärfer gegen Behinderungen vorzugehen. In der Saisonvorbereitung führte dies jedoch nicht zu flüssigerem, attraktiverem Spiel, sondern zu einer Vielzahl von Pfiffen, Unterbrechungen, Freiwürfen und Unmutsäußerungen des Publikums. „Man macht das Spiel nicht schneller, wenn man Ticky-Tack-Fouls pfeift“, schimpfte Shaquille O’Neal. Wobei man lieber nicht wissen möchte, was für den Center von Miami Heat ein Ticky-Tack-Foul ist.

MATTI LIESKE