Diamorphin im Leistungskatalog: Heroin künftig auf Krankenschein
Die Krankenkassen müssen die Kosten für Diamorphin übernehmen - unter strengen Bedingungen. In kleinen Ambulanzen ist die Behandlung dann wohl nicht möglich.
BERLIN taz | Künstliches Heroin, sogenanntes Diamorphin, wird bald zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen gehören. Das beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Kassen am Donnerstag in Berlin.
Der Ausschuss legte auch die Voraussetzungen fest, unter denen die Kassen die Kosten für die Diamorphin-Behandlung von Schwerstabhängigen übernehmen müssen. Er setzte damit einen Bundestagsbeschluss vom Mai 2009 um, nach dem Heroinabhängige, denen nicht auf anderem Weg geholfen werden kann, ab 2010 in speziellen Ambulanzen Diamorphin auf Rezept erhalten sollen.
Diamorphin sollen künftig Patienten bekommen, die mindestens 23 Jahre alt und mehr als fünf Jahre abhängig sind sowie zwei erfolglose Therapieversuche hinter sich haben. Darüber hinaus regelte der Gemeinsame Bundesausschuss auch die Voraussetzungen für die zuständigen Ambulanzen. Damit die Kassen die Kosten tragen, müssen die Einrichtungen unter anderem mindestens zwölf Stunden am Tag geöffnet sein, zudem müssen drei Ärzte in Vollzeit angestellt sein.
Gegen die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses hatte es schon im Vorfeld Kritik gegeben. Denn in ihrer Konsequenz entscheiden sie darüber, wo eine Diamorphin-Behandlung in Zukunft in Deutschland möglich sein wird. "Die Einrichtung kleiner Ambulanzen wird dadurch bedroht, wenn nicht sogar gefährdet", sagt Uwe Verthein vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg, der die bundesweite Studie über Diamorphin-Modellprojekte betreut hat.
"Dafür, eine zwölfstündige Öffnungszeit zur Voraussetzung zu machen, gibt es absolut keinen medizinischen Grund." Kleine Einrichtungen mit wenigen Patienten müsse es möglich sein, eigene Lösungen zu entwickeln, so Verthein weiter. Die Vorgaben würden erschweren, dass sich das Modell Diamorphin-Ambulanz durchsetze. "Dahinter steht eine politische und eine Kostenfrage."
Auch die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans (FDP), kritisierte Teile des Beschlusses. Es werde sich in der Praxis zeigen, "ob der Gemeinsame Bundesausschuss eventuell nachsteuern muss", so Dyckmans. Mediziner werteten die Vergabe von künstlichem Heroin an Schwerstabhängige in Modellprojekten in sieben deutschen Städten bisher durchgehend als Erfolg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene